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Meinung: Raus aus den Schützengräben

Der Bund der Vertriebenen hat sich längst gewandelt, wann merken das seine Kritiker?

Braucht ein Auto Bremse oder Gaspedal? Diese widersinnige Frage entspricht qualitativ den Argumenten der Gegner des Zentrums gegen Vertreibungen – europäisch oder national. Natürlich ist beides unverzichtbar.

Der Bund der Vertriebenen (BdV) hat vor Gründung dieser Stiftung im Jahr 2000 eine intensive Diskussion darüber geführt. Die einmütige Entscheidung für ein Zentrum in Berlin, das sowohl das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen ausleuchtet als auch die Vertreibungen anderer Völker, insbesondere in Europa, aufblättert, war ein epochaler Schritt in zweierlei Hinsicht: Erstens für den BdV selbst, zweitens für den Selbstfindungsprozess in Deutschland, ja darüber hinaus. Der Wille, sich nicht in der Erinnerung zu verlieren, sondern sie fruchtbar zu machen für Gegenwart und Zukunft wurde durch die Gründung dieser Stiftung manifestiert.

Leicht ist dieser Schritt nicht allen gefallen. Zu sehr haben unverarbeitete traumatische Erlebnisse die seelischen Flügel beschnitten. Viele Betroffene sind daran vor der Zeit zugrunde gegangen, andere tragen bis heute an dieser Last, obwohl sie in wirtschaftlich stabilen Verhältnissen leben. Aber es gelang! Nicht nur persönliches Leid, sondern der Blick und das Mitgefühl für andere Opfer prägen das Stiftungsanliegen. Der gewaltsame Verlust von Heimat, das wissen Vertriebene aller Völker nur zu gut, raubt Identität. „Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, dass man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde“, schrieb Stefan Zweig in seinen Erinnerungen. Im 20. Jahrhundert haben 35 europäische Völker dieses schreckliche Schicksal erlitten. Das Zentrum gegen Vertreibungen will auch ihren Verlust der Vergessenheit entreißen. Ein europäischer Dialog von Mensch zu Mensch und nicht nur von Regierung zu Regierung ist dazu nötig.

Deutschland ist geprägt von 12,5 Millionen Vertriebenen, die hier neue Wurzeln schlagen mussten. Es ist geprägt durch eine historisch einmalige Integrationsleistung. Daran haben Einheimische und Vertriebene gemeinsam ihren Anteil. Die Tatsache, dass inzwischen mehr als 400 deutsche Städte und Gemeinden Paten des Zentrums sind, zeigt, wie tief die Verbundenheit mit dem Lebensschicksal der Heimatvertriebenen vielerorts ist. Eine möglichst offene und versöhnende Diskussion sollte von Anbeginn dadurch ermöglicht werden, dass der Verband nicht selbst Träger des Zentrums ist, sondern diese Aufgabe einer gemeinnützigen Stiftung anvertraut hat.

Heute bürgen im wissenschaftlichen Beirat kompetente Völkerrechtler, Historiker und Intellektuelle anderer Bereiche aus dem In und Ausland für eine sachgerechte Betrachtung aller Facetten dieses deutschen und weltweiten Schicksalsthemas. Die Stiftung ist offen für die Zusammenarbeit unterschiedlichster Art mit Vertretern anderer Länder oder anderer Organisationen.

Die lebhafte öffentliche Diskussion über das Zentrum gegen Vertreibungen – der Name ist übrigens geschützt – hat die Tür zu einer Grundsatzdebatte in Deutschland geöffnet, die seit langem überfällig ist. Es ist zu hoffen, dass klischeehaftes Denken dadurch abgebaut wird. Und ebenso stereotype Wiederholungen wie zum Beispiel die, dass das Denken der deutschen Vertriebenen erst mit dem 8. Mai 1945 beginne. Wie auch – haben doch die Deutsch-Balten ihre Heimat durch den Hitler-Stalin-Pakt längst davor verloren. Auch die Sorge vor Aufrechnung des Holocaust mit der Vertreibung wird sich als unbegründet erweisen. Der BdV steht an der Seite dieser Opfer.

Die zukunftsgerichtete Konzeption mit ihrem breiten europäischen Ansatz ist offenbar so überzeugend, dass die Gegner dieser Thematik der Sache nur noch dadurch Herr zu werden glauben, dass sie die Stiftungsinhalte, einschließlich des Namens, vollständig adaptieren, um sie supranational aufzulösen. Dass ein solcher Rettungsanker nötig scheint, ist ein Kompliment an das Zentrum. Es zeigt die Qualität des Ansatzes.

All jene, denen an ehrlicher, vertrauensvoller und vertiefter Aufarbeitung der deutschen und europäischen Vertreibungsschicksale und des Themas Vertreibung insgesamt gelegen ist, sind als Ratgeber und Mitstreiter für dieses Menschenrechtsanliegen der Stiftung willkommen, ob aus dem In- oder Ausland. Gleichzeitig hoffen die Stifter, dass in unseren Nachbarländern möglichst zahlreich gleichartige Einrichtungen entstehen. Daraus ließe sich ein Netzwerk für Menschenrechte und Völkerverständigung knüpfen.

Wer heute aus der Tatsache, dass der BdV diese Stiftung gegründet hat, seine misstrauische bis ablehnende Haltung herleitet, der sitzt noch immer in alten, fast verfallenen mentalen Schützengräben. Die deutschen Heimatvertriebenen haben diese schon lange verlassen. Sie leben seit Jahren die praktische Völkerverständigung durch Gespräche und Freundschaften in der alten Heimat vor.

Erika Steinbach ist Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und Mitglied des Bundestages. Bisher erschienen der Aufruf gegen das Zentrum in Berlin (16.7.) sowie Beiträge von Peter Glotz (24.7.), Wlodzimierz Borodziej (28.7.) und Markus Meckel (30.7.).

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