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Meinung: Raus aus der alten Welt

Abschuss von Passagierflugzeugen: Der Terrorismus sprengt auch juristische Kategorien

Von Robert Birnbaum

Der Verteidigungsminister hat einen Stein in den Teich des Berliner Politikbetriebs geworfen, der eigentlich hohe Wellen schlagen müsste. Dass er’s vorerst nicht tut, liegt vielleicht am großkoalitionären Öl, das ganz generell die Wogen glättet; vielleicht auch daran, dass diesem frisch der hessischen Provinz entsprungenen Franz Josef Jung noch keiner richtig zuhört. Jung hat aber gerade beiläufig mitgeteilt, dass er die Grundlagen der Verteidigungspolitik verändern will. Das mag bürokratisch langweilig klingen. In Wahrheit reicht es über alles hinaus, was zuletzt zum Reizwort „Bundeswehr im Inneren“ diskutiert wurde.

Konkreter Auslöser der Jungschen Überlegungen ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. Seit das Gericht verboten hat, Terrorflugzeuge abzuschießen, in denen auch nur ein einziger Unbeteiligter sitzt, plagt die Verantwortlichen der Albtraum, wie sie tatenlos zusehen müssen, bis ein Feuerball über einem Fußballstadion aufsteigt.

Bei der Suche nach einem Ausweg stellt Jung – wie schon Innenminister Wolfgang Schäuble, aber auch einzelne SPD-Politiker – die Frage, ob ein solcher Angriff wirklich unters zivile Kriminalrecht fällt – oder ob er nicht richtiger als kriegerischer Akt einzustufen wäre. Im Krieg stellt sich zumindest die Frage etwas anders, ob in Abwehr eines Angriffs notfalls Unbeteiligte geopfert werden dürfen.

Ob der Umweg das Problem juristisch löst, ist höchst umstritten, muss uns aber hier nicht beschäftigen. Hinter dem Spezialfall steckt nämlich ein viel allgemeineres Problem. In der militärischen Praxis und in der Alltagssprache sind wir inzwischen in der Welt nach dem Kalten Krieg angekommen. Wir akzeptieren mehr oder weniger, dass Deutschland auch in Afghanistan verteidigt wird und reden vom „Krieg gegen den Terror“. Im Herzen und im Grundgesetz leben wir aber weiter in der alten Welt. Und dort wird der Verteidigungsfall weiter so verstanden, dass fremde Heere einmarschieren.

Jung will dieses Verständnis verändern und die Verfassung gleich mit. Beides wird schwierig – und beides hätte weit reichende Folgen. Schwierig, weil kaum jemand Peter Strucks berühmte Formel von der „Verteidigung am Hindukusch“ je wörtlich genommen hat. Dass die Nato nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Bündnisfall erklärt hat, gilt ebenfalls als rein symbolische Geste. Kurz, keiner fühlt sich im Krieg. Das ist so lange gar kein Problem, wie das, was die Fachwelt als neue „asymmetrische“ Form des Kriegs diskutiert, nicht konkret hierzulande zuschlägt. Es ist auch kein praktisches Problem, solange ein Angriff eines Gegners namens „internationaler Terrorismus“ von der Polizei beherrscht werden kann. Es wird zum Problem, wenn diese Mittel nicht mehr reichen, weil Polizisten keine Abfangjäger fliegen. Zu einer Grundgesetzänderung für diesen Spezialfall – ausdrücklich unterhalb der Abschuss-Schwelle – ist auch die SPD bereit.

Aber Jung will mehr. Er will die Möglichkeit eröffnen, Formen von Terror als militärischen Angriff zu definieren. Daraus könnte, ja müsste dann der Verteidigungsfall folgen. Ein sehr großer Stein ist da in den Teich geworfen. Solche sinken freilich oft schnell zum Grund.

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