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Eine Schande. Trotz aller verbalen Platzverweise hat der Rechtsextremismus in Deutschland immer noch seinen Platz.

© dapd

Rechter Terror in Deutschland: Was kommt nach der "Schande"?

Zuletzt war der Rechtsextremismus in Deutschland kein großes Thema. Doch angesichts der Taten der Jenaer Terrorgruppe überschlägt sich die Gesellschaft plötzlich in Empörung. Doch die Frage ist, was den großen Worten folgt.

Die Wahrnehmung des Rechtsextremismus verläuft in starken Wellen; das rechte Maß findet sie nie. Unmittelbar nach schockierenden Taten – oder, wie jetzt, nach deren später Entdeckung – überschlägt sich die Gesellschaft in Abscheu und Empörung, verkünden Politiker mit viel Pathos Selbstverständlichkeiten und versprechen rasche Reaktionen. Dann verebbt die Aufmerksamkeit, zurück bleiben ein paar Aktivisten und Alarmisten.

Zuletzt war Rechtsextremismus kein großes Thema. Brennende Autos und Bahnkabel verführten Innenpolitiker dazu, über eine „neue RAF“ zu spekulieren, davor konzentrierte sich das Interesse mehr auf Verfehlungen integrationsunwilliger Zuwanderer. Die Bundesregierung machte unterdessen Projekten und Initiativen gegen Rechtsextremismus die Arbeit schwer, kürzte ihnen die Zuschüsse, nervte sie mit einer „Extremismusklausel“ und unterstellte ihnen allesamt linksradikale Motive.

Das alles meinte Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht, als sie angesichts der jetzt aufgedeckten Mordserie von einer "Schande" sprach. Sie bezog sich auf die Taten an sich und ihre beschämende Wirkung auf das Ansehen Deutschlands. Das ist richtig, doch es reicht nicht.

Womöglich auch aus diesem Gefühl heraus schloss sich Merkel der reflexartigen Forderung an, ein neues NPD-Verbotsverfahren zu prüfen. Damit nahm sie der verlautbarten Staatsbetroffenheit allerdings gleich wieder einiges an Glaubwürdigkeit. Denn das wichtigste Thema ist jetzt, in diesem Moment der abermaligen Erkenntnis, gerade nicht die latente Propaganda pöbelnder Nationalisten, die überwiegend offen agieren und sogar in einigen Parlamenten sitzen, sondern: der Terror aus dem nationalsozialistischen Untergrund. Ohnehin gibt es keinen Ansatz für ein neues Verfahren, es sei denn, man wollte zynisch argumentieren, der aufgedeckte Fall zeige, dass der Verfassungsschutz so wenig Ahnung hat, was in der rechten Szene passiert, dass er dort gar keine V-Leute haben kann – womit tatsächlich ein Verbotshindernis aus dem Weg geräumt wäre.

Merkels Wort von der Schande, so unvollständig es ist, macht aber auch klar, was alles fehlt. Und das ist atemberaubend. Es fehlt an einer Erklärung, wie das überhaupt sein kann, dass Rechtsextremisten jahrelang, von den Behörden unerkannt, aber von Gesinnungsgenossen in einem braunen Umfeld geschützt, mordend und bombend durchs Land ziehen; und es fehlt an einer Erklärung, wieso die Gefahr des rechten Terrors in der Gesellschaft, bei der Polizei, den Staatsanwaltschaften, der Politik, den Medien, immer wieder so unterschätzt wird, trotz mehr als hundertvierzig Todesopfern und tausenden Verletzten seit der Wiedervereinigung, im Osten wie im Westen.

Es fehlt der Boden unter den Füßen, wenn man an mögliche Erklärungen denkt, so oder so.

Und es fehlt an Empathie – über das Wort hinaus, über den Tag hinaus, nach der Empörungswelle. Bedroht und gefährdet ist nicht nur ein Teil der Gesellschaft, sondern die ganze Gesellschaft. Was sich im rechten Untergrund tut, erschüttert unser Vertrauen in die Institutionen – und auch das Vertrauen in uns. Manche Reaktion in anderen Ländern auf die Mordserie an Zuwanderern in Deutschland klingt rein emotional und überzogen. Doch nicht nur in der Türkei wird beobachtet werden, was aus Worten wie Schande folgt. Vielleicht eine Einladung an die Familien der Opfer ins Kanzleramt?

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