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Meinung: Rechtswege: Der Trost der letzten Instanz

Eine Große Strafkammer des Landgerichts München II hat in der vergangenen Woche Sergei R. (27) und Sergei C.

Eine Große Strafkammer des Landgerichts München II hat in der vergangenen Woche Sergei R. (27) und Sergei C. (26) wegen Mordes verurteilt. Das Urteil für beide lautete auf Lebenslang. Für den Jüngeren wurde eine besondere Schwere der Schuld festgestellt, was bedeutet, dass er erst nach 22 Jahren Haft einen Antrag auf Aussetzung zur Bewährung stellen kann. Der Vorsitzende Richter Klaus Robhan sagte, er habe eine derart grausame Tat noch nicht erlebt.

Die Verurteilten waren aus Moldawien illegal in die Bundesrepublik gekommen. Sie hatten kein Geld, hatten seit Tagen nichts gegessen. Am 14. Juni 1999 kamen am S-Bahnhof Mühltal der Rentner Alfred S., 77, und seine Frau Aloisia, 79, von einem Konzert in München gegen 23 Uhr zurück. Sie wollten zu ihrem Wagen, als die jungen Männer über sie herfielen. Aloisia S. wurde zu Tode geprügelt und erwürgt. Alfred S. verlor unter Schlägen das Bewusstsein, entging dem Tod nur knapp, büßte jedoch sein linkes Auge ein, das ihm buchstäblich ausgedrückt wurde, und seinen Geruchssinn. Die Beute der Täter: 500 Mark und das Auto.

Vor den Fernsehenkameras sagte Alfred S. zu Beginn der Verhandlung, er vergebe den Angeklagten. Sie seien schlechter dran als er. Und im Prozess, als Zeuge, erklärte er seine Haltung: "Ich bin ein sehr religiöser Mensch. Ich finde in meinem Glauben Halt." Er sagte auch: "Das sind dumme Buben. Im Grunde tun sie mir nur leid. Sie haben ihr Leben verpfuscht." Er verschwieg sein Leid nicht: "50 Jahre waren wir verheiratet. Eine Hälfte von mir wurde weggerissen." Als die Angeklagten sich in ihren Schlussworten bei ihm entschuldigten, erhob sich Alfred S.: "Auf so ein Wort der Entschuldigung habe ich gewartet. Ich bedanke mich dafür." Das Urteil empfand der alte Mann als gerecht. Und er sagte: "Es gibt sicher sehr wenig Menschen, die das verstehen. Ich verzeihe ihnen."

Die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte, durch die Dritte Gewalt, ist der größte Versuch, den die Menschen neben dem Versuch religiöser Deutungen des Lebens unternommen haben, um ein Miteinanderleben in leidlichem Frieden zu ermöglichen. Heute stehen die Lehren der Religion nicht neben dem, was die Gerichte befinden, sondern weit dahinter. Widmet ein Geistlicher bei der Beerdigung eines Opfers auch dem Täter ein Wort, so wagt es mancher von ihnen nur unter Tränen.

Es ist - wieder einmal - ein Satz von Adolf Arndt zu zitieren: "Die Frage des Strafens entsteht dort, wo die Welt nicht mehr heil ist, weil von Menschenhand ein Unheil geschah, das sich von Menschenhand nicht wieder heilmachen lässt. Die Frage des Strafens erhebt sich vor uns dort, wo uns Gerechtigkeit unerreichbar wurde."

Die Dritte Gewalt hat spät, zu spät begriffen, dass es nicht in erster Linie um die Verletzung des Staates und seiner Gesetze geht, wenn sie richtet - sondern um die Menschen, denen die Straftat zugefügt wurde. Die Opfer und ihre Angehörigen beginnen endlich den Platz einzunehmen, der ihnen gebührt. Doch gibt es Strafen, die zugleich dem Opfer und dem Täter gerecht werden? Die Urteile sollen den Opfern gerecht werden und ihren Angehörigen helfen, weiterzuleben - zugleich müssen sie es dem Täter ermöglichen, zu erkennen was er getan hat und seine Tat auf sich zu nehmen. Nur noch selten, ganz selten, begegnet den Gerichten ein Mann wie Alfred S., einer, dem sein Glauben hilft, sein Vertrauen auf eine Instanz über den Menschen.

Um der Opfer und ihrer Angehörigen willen muss ein Weg gefunden werden, darf aus dem opferfeindlichen Strafrecht nicht das Gegenteil werden: ein Strafrecht, das im Hass auf den Täter die Angehörigen des Opfers in ihrem Leid festhält. Der Mensch ist zu allem fähig. Spätestens seit 1945 weiß das, muss das jeder wissen.

Die Eltern der ermordeten Ulrike aus Eberswalde haben die Medien um Rücksicht gebeten. Doch es mussten Bilder gemacht und gesendet werden, die sie beim Betreten des rechtsmedizinischen Instituts und vor allem beim Verlassen, nach der Identifizierung ihrer Tochter, zeigen. Es wird berichtet, dass sie nicht die Arme umeinander gelegt haben und nicht Hand in Hand gehen.

Sie müssen weiterleben. Ulrike hat eine Schwester. Nicht nur die Richter, alle Menschen und voran die Medien, müssen einen Weg finden, auf dem wir der unerreichbaren Gerechtigkeit wenigstens etwas näher kommen.

Gerhard Mauz

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