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Meinung: Rechtswege: Was der Bürger wissen muss

"Wer wird Millionär" ist nicht nur eine Show. Günther Jauchs Quiz gibt auch Anlass zur Nachdenklichkeit.

"Wer wird Millionär" ist nicht nur eine Show. Günther Jauchs Quiz gibt auch Anlass zur Nachdenklichkeit. Da gibt es Fragen, die der Zuschauer sofort, die Kandidaten aber nicht oder nur mit Hilfe eines Jokers beantworten können - und Fragen, bei denen der Zuschauer ratlos ist, nicht jedoch die Kandidaten. Warum finden die oder der die Antwort nicht, die man selbst ohne Zögern parat hat? Und warum fällt einem nicht ein, was jene mühelos wissen?

Da weiß einer, der Akademiker ist, nicht, dass die Emser Depesche 1870 den deutsch-französischen Krieg einleitete und dass die Waldorfschulen von der Philosophie Rudolf Steiners getragen werden. Doch wenn die Kandidaten mühelos naturwissenschaftliche Fragen beantworten (oder sogar Fragen nach der Musik der Jugend) - viele Zuschauer könnten sich nicht einmal mit dem Joker helfen.

In England blieb einmal im 19. Jahrhundert der Premierminister stecken, als er aus dem Originaltext von Vergils "Aeneis" zitierte, das Unterhaus erhob sich und sprach im Chor die lateinischen Verse zuende. Der Vorfall ist kein Vorbild, denn damals konnte nur ein erlauchter Bruchteil der Bevölkerung die Kenntnisse erwerben, die dem Jahrhundert zur Verfügung standen. Doch - was kann man heute wissen, was sollte man heute als Zeitgenosse wissen, um tatsächlich ein Bürger dieser Welt zu sein?

Diese Frage wirft Günther Jauchs Show auf. Was die Justiz angeht, muss sie leider mit der Feststellung beantwortet werden: Die jedermann möglichen Kenntnisse sind völlig unzureichend verbreitet. Das beginnt mit Banalitäten, die aber böse Anzeichen sind. Etwa, dass von "Sicherheitsverwahrung" gesprochen wird, wo es um die Sicherungsverwahrung geht; damit, dass der Angeklagte, ungeachtet der Geltung der Unschuldsvermutung bis zum Urteil, "leugnet" und nicht bestreitet, was die Anklage ihm vorwirft. Und das wird dramatisch sichtbar, wenn es darum geht, dass neuerdings Gewalt in der Erziehung ein strafbarer Tatbestand geworden ist. Wie soll man Kindern und Jugendlichen Grenzen spürbar machen, ohne sie zu schlagen? Können Schläge wirklich zur Folge haben, dass aus Kindern Erwachsene werden, die für andere gefährlich sind? Es geht um Schläge und Ohrfeigen. Andere gewalttätige Einwirkungen auf die kindliche Entwicklung werden kaum diskutiert, obwohl Belege seit Jahrzehnten vorliegen.

Zu Hans Zulliger, dem großen Schweizer Psychologen und Pädagogen, kamen die Eltern des zwölfjährigen Marcel. Der Junge "bestiehlt" seine Eltern. Zulliger behandelt ihn in spielerischen Gesprächen. Er hat Erfolg - doch da erscheinen die Eltern und wollen die Behandlung abbrechen. Die Mutter hat Geld herumliegen lassen. Und Marcel hat wieder "gestohlen". Nun befasst sich Zulliger mit den Eltern, Pfarrersleuten. "Marcel muss schwierig bleiben", lautet die Lösung. Denn um die Ehe der Eltern steht es schlecht. Doch Pfarrersleute lassen sich nicht scheiden. Das schickt sich nicht. Blöde Vernunft hält die Ehe zusammen. Und die Aufgabe, miteinander das "Kreuz dieses Kindes" zu tragen, von dem Schlimmstes gefürchtet werden muss. Marcel darf kein normales Kind sein.

Auch das ist Gewalt in der Erziehung, ist ein Abwälzen auf das Kind, ein Ersatz dafür, den Ehekonflikt so oder so zu lösen. Es darf nicht nur von Schlägen und Ohrfeigen die Rede sein. Es gibt Antworten - die wir wissen können und wissen müssen.

Gerhard Mauz

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