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Meinung: Regieren mit 23 Seiten

Der Kanzler hat ein Thesenpapier – hat er auch Mut?

Von Lutz Haverkamp

Der Kanzler ist im Stimmungstief – und dann kommt auch noch Pech dazu. Bei der Sonntagsfrage schrumpft seine Partei zur Randerscheinung, ein Drittel der Bevölkerung glaubt nicht, dass Schröder die Legislaturperiode durchsteht. Und das Bundesverfassungsgericht mit seinem Spruch zur Zuwanderung dämpft auch noch die Hoffnung auf Aufschwung durch eine Zinssteuer. Kein Wunder, wenn Gerhard Schröder sagt, dass Regieren so keinen Spaß macht.

Dabei kann das auch anders sein: wenn man einen Plan hat. Auf nur 23 Seiten haben die Politstrategen im Kanzleramt die wirtschaftliche und soziale Situation in Deutschland zusammengestellt und ihre Schlussfolgerungen gezogen. Fazit: Viele Probleme erkannt – und sogar ein paar Lösungen benannt. Hätte Schröder diese 23 Seiten auf den Marktplätzen im Wahlkampf vorgelesen, hätte er mit ihnen die Regierung erklärt, er hätte weder Flut noch Kriegsangst nötig gehabt. Selbst die Opposition im Bundestag hätte applaudiert.

Das Dossier fasst auf geringem Platz zusammen, was der deutschen Gesellschaft, der Wirtschaft und dem Staat fehlt. Es ist in vielen Punkten eine ziemlich genaue Problembeschreibung – und gibt teils sehr konkrete Handlungsanweisungen für Lösungen. Das Leitmotiv ist klar. Steuern und Abgaben runter, Eigenverantwortung stärken, Freiräume schaffen für Investitionen, weg mit der Bürokratie und Abschied von Gesetzen aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts – wer wird sich dem entgegenstellen wollen? Aber das wäre schon die zweite Frage. Die erste lautet: Wer will das politisch umsetzen? Die Autoren liefern die Antwort mit. „Wir selbst haben es in der Hand, unseren Wohlstand zu sichern.“ Problem erkannt. Lösung benannt.

Die Vordenker im Kanzleramt haben nachgedacht, und sie sind sich einig, dass nur dieser Weg der „Königsweg“ sein kann, um das nötige Vertrauen bei den Bürgern zurückzugewinnen. Und sie an – für deutsche Verhältnisse radikalen – Reformen aktiv mitwirken zu lassen. Sie haben erkannt, dass anhaltende Steuer- und Abgabenerhöhungen bei gleichzeitig fehlender Perspektive genau das Gegenteil bewirken. Reformen sind nötig – und möglich. Sie müssen sozial ausgewogen sein und doch einschneidend, grundlegend, aber nicht umstürzend.

Jetzt kommt bestimmt wieder die Stunde der Bedenkenträger aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften. Aber jetzt ist der Machtpragmatiker Schröder gefragt. Die Menschen können sich nur wünschen, dass er sich die 23 Seiten Papier zu eigen macht; das Mandat vom 22. September verpflichtet ihn dazu. Und der Kanzler würde nicht nur seinen Wählern einen Gefallen tun: Auch seine politischen Gegner würden Positives finden, und sogar er selbst käme nicht zu kurz. Denn bei der Umsetzung der zahlreichen Vorschläge, die seine Mitarbeiter aufgeschrieben haben, könnte Schröder wieder sagen: Regieren macht Spaß.

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