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Regierungskonsultationen: Deutsche und Russen: Mehr dick als dünn

Deutschland braucht russische Energie, Russland braucht deutsche Maschinen. Doch es reicht nicht, sich in der Zusammenarbeit mit Russland auf bloßen wirtschaftlichen Austausch zu konzentrieren.

Vor einigen Jahren erreichte ein Brief aus Moskau die deutsche Hauptstadt. Das dortige Staatsoberhaupt schrieb darin an seinen Berliner Kollegen: „Ist es eines wahren Staatsmannes würdig, einen persönlichen Streit ins Gewicht fallen zu lassen, wenn es sich um das Interesse zweier großer Staaten handelt, die geschaffen sind, im guten Einverständnis zu leben, und von denen der eine dem anderen Dienste geleistet hat, die Sie nach Ihrem eigenen Ausdruck niemals vergessen zu wollen erklärt haben?“ Der Brief endete prophetisch: „Die Lage wird zu ernst, als dass ich Ihnen meine Befürchtungen verbergen dürfte, deren Folgen verhängnisvoll für unsere beiden Länder werden können.“ Kurz zuvor war der wichtigste Mann seiner Regierung in der deutschen Presse rüde beschimpft worden. „Der ist eine Kalamität für Russland“, wurde ein Mitglied der deutschen Regierungspartei zitiert.

Der „Ohrfeigenbrief“ des russischen an den deutschen Kaiser entstand 1879 – in die Jahre gekommen ist er nicht. Heute ist Russlands Ministerpräsident verärgert, weil er nun doch nicht in Deutschland für seine „Führungskraft“ mit der „Quadriga“ ausgezeichnet werden soll; seinen Botschafter schickt er vor, um sich über den höchst „unsympathischen und unanständigen“ Vorgang zu beschweren. Und deutsche Unternehmer klagen laut darüber, die angeblich russlandfeindliche Atmosphäre in Deutschland schade ihren Geschäften.

All diese Klagen beruhen auf einem Missverständnis, das Deutsche und Russen nun schon seit Jahrhunderten begleitet, ob in Zeiten von Bismarck oder Angela Merkel: der einfachen Frage nämlich, ob gegenseitige Kritik erlaubt ist oder nicht. Deutsche Kanzler haben diese Frage immer unterschiedlich beantwortet – von unkritischer Liebelei (Gerhard Schröder) über einen konstruktiven Dialog, verbunden mit finanzieller Unterstützung (Konrad Adenauer, Helmut Kohl) bis hin zu teils klaren Worten, stets im Korsett des Kalten Krieges (Helmut Schmidt).

Heute muss kein Kanzler mehr russisches Faustpfand fürchten, weder sind Millionen Deutsche in Kriegsgefangenenlagern, noch stehen russische Truppen in Ostdeutschland. Merkwürdig, dass Angela Merkels Haltung zu Russland trotzdem derart unbestimmt ist. Ist es ihr egal, dass die Menschenrechtssituation im Land nach wie vor beängstigend ist? Dass Journalisten verschwinden oder umgebracht werden, weil sie es wagen, kritische Fragen etwa zur Politik in Tschetschenien zu stellen? Dass es vor allem in den elektronischen Medien kaum Pressefreiheit gibt? Und dass das Recht in Russland noch immer nicht von Richtern gesprochen wird, sondern vom Kreml?

Deutschland braucht russische Energie, Russland braucht deutsche Maschinen. Doch in der Außenpolitik kommen eben nie nur reine Interessen zum Ausdruck, sondern auch die Erwartungen derer, die handelnde Politiker gewählt haben. Es reicht nicht, sich in der Zusammenarbeit mit Russland auf bloßen wirtschaftlichen Austausch zu konzentrieren. Mercedes gegen Gas – diese Formel ist und war immer eine Leerformel, die weder Deutschen noch Russen langfristig nützt.

Wer Russland wirklich vorantreiben will, der muss das Versprechen der Modernisierung, das Ministerpräsident Putin seinen Bürgern gemacht hat, kritisch begleiten und hinterfragen – und muss helfen, das Land demokratischer zu machen. Und er muss sich trauen, die Partner auf Versäumnisse anzusprechen. Das gilt auch für die erwartbare Trickserei, die Wladimir Putin nach vierjähriger Abstinenz schon bald wieder zum Präsidenten machen dürfte. Es gehört zu den großen Rätseln deutscher Außenpolitik, dass Merkel sich nicht schon längst auf die Seite des eher reformorientierten Präsidenten Dmitri Medwedew geschlagen hat und ihn demonstrativ stützt. Glaubt sie selber nicht mehr an seine Zukunft?

Der „Ohrfeigenbrief“ hatte damals übrigens eine bemerkenswerte Wirkung. Trotz des Streits bleib die Zusammenarbeit mit Russland über Jahre eng und herzlich. „Durch dick und dünn“ wollte Bismarck mit den Russen gehen – klare Worte an den Partner schloss das mit ein.

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