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Meinung: Reif für den Betriebsrat

Von Moritz Döbler

Erich Klemm hat äußerlich wenig von einem Arbeitnehmervertreter und viel von einem TopManager: Dunkle Anzüge, selbstsicheres Auftreten, gigantische Zahlen fest im Blick. Nun ermittelt der Staatsanwalt gegen ihn – doch halt: Der Fall Klemm hat nach heutigem Kenntnisstand nichts, aber auch gar nichts mit den Korruptionsaffären bei Volkswagen und Infineon und sonstwo gemein.

Ein Rechtsanwalt hatte Ende vergangenen Jahres eine Strafanzeige eingereicht: wegen Nötigung. Er wirft dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats vor, den Vorstand zu einer dem Konzern schadenden Vereinbarung genötigt zu haben. Selbst Daimler-Chrysler selbst, also der vermeintlich Geschädigte, hält den Vorwurf für „absoluten Quatsch“. Wie sollte Klemm das auch zu Wege gebracht haben? Welche finsteren Drohungen soll er denn ausgestoßen haben, damit der Konzern in die Knie ging?

Anders herum wird schon eher ein Schuh daraus: Damals hatte Daimler-Chrysler mit der Verlagerung von 10 000 Arbeitsplätzen gedroht und Deutschland in Aufruhr versetzt. Am Ende stimmte Klemm zwar Einsparungen von jährlich einer halben Milliarde Euro zu, erstritt aber eine Beschäftigungsgarantie bis 2012 und den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. Dass in den Verhandlungen die Fetzen flogen, steht außer Frage. Das aber juristisch als Nötigung zu werten, ist wirklich Quatsch.

Wenn also nichts nachkommt, dann dürfte der Staatsanwalt seine Ermittlungen schon bald einstellen. Es ist eben so, dass jeder jeden anzeigen kann und nicht jedes Ermittlungsverfahren sinnvoll ist. So ist das System, und es ist kein schlechtes.

Der Fall Klemm zeigt aber etwas ganz deutlich, nämlich was es heißt, in der heutigen Zeit die Interessen der Arbeitnehmer eines großen, bedrängten Industriekonzerns zu vertreten. Aussitzen und mit Streik drohen, das funktioniert eben nicht mehr. Gewerkschafter wie Klemm wirken aktiv an weitreichenden unternehmenspolitischen Entscheidungen mit. Vermutlich lässt sich nur so die Autoproduktion in einem Hochlohnland retten. Klemm verkörpert den Typus eines modernen Gewerkschafters, an dem letztlich das weltweit einzigartige deutsche Modell der betrieblichen Mitbestimmung hängt. Diese Last der Verantwortung kostet sicher manchen Schlaf, die Strafanzeige sollte es nicht.

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