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Meinung: Reine Theorie

Von Alfons Frese

Was für eine Ironie: Jürgen Schrempp, Deutschlands lautester Lobbyist des ShareholderValue-Kapitalismus, geht von der Bühne und schon strömt das Kapital der Investoren. Sie haben in den letzten vier Wochen so eifrig Daimler-Chrysler-Aktien gekauft wie vor ein paar Jahren der gemeine Bürger die T-Aktie. Die Motive des Kleinanlegers unterscheiden sich nicht vom institutionellen Investor: Die Aktie soll Geld bringen, indem das Unternehmen eine Dividende ausschüttet und sich ferner so gut entwickelt, dass immer mehr Anleger die Aktie kaufen und diese immer wertvoller wird, also der Kurs steigt.

Aber es geht auch anders. Ein Investor übernimmt die Mehrheit an einem Unternehmen, zerlegt die Firma und verkauft die Einzelteile mit hübschem Gewinn weiter. Zum Beispiel Daimler-Chrysler. Und dann geht’s los. Chrysler geht an die Chinesen; VW bekommt Smart geschenkt; gute Kasse macht der Investor bei den Amerikanern, die die Raumfahrtbeteiligung EADS übernehmen; die hochprofitable Nutzfahrzeugsparte wird separat an die Börse gebracht, und die Dienstleistungstochter bringt Milliarden. Nur die weltberühmte Marke Mercedes-Benz behält der Investor.

Warum sollte es nicht so kommen? Weil das Leben komplizierter ist. Daimler-Chrysler ist nicht der Sanitärbetrieb Fritz Schmitt um die Ecke mit sechseinhalb Beschäftigten. Weder Politik noch Beschäftigte und Gewerkschaften würden es sich gefallen lassen, dass die Zukunft von weltweit 400000 Mitarbeitern und deren Familien in die Hände von Zockern gerät. Das wissen die Investoren. Wer in den letzten Wochen bei Daimler eingestiegen ist, der will auch länger bleiben, weil er Hoffnungen auf den neuen Chef Dieter Zetsche setzt. Weil er an die Überwindung der Qualitätsprobleme bei Mercedes glaubt und weil er weiß, dass es gravierende Größenvorteile in der Welt AG gibt. Und weil er womöglich auf das Ende des Smart hofft. Schrempp hat trotz Milliardenverlusten beharrlich an dem Kleinwagen festgehalten. Zetsche wird sich nun anschauen, ob tatsächlich 2007 schwarze Zahlen erreicht werden. Wenn nicht, ist der Smart fällig. Aber das gilt unabhängig vom Einfluss der Investoren.

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