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Meinung: Reise zum Virus

Schröder in Asien: Warum Sars keine Gefahr für ihn ist / Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Für Wolfgang Clement dürfte der Trip nach Fernost trotz Sars richtig entspannend sein, zumindest im Vergleich zu früheren Reisen in die Region: In den 70er Jahren war der damalige Reporter schon einmal dort, damals berichtete er aus Saigon über den Vietnamkrieg. Dem Rest der SchröderDelegation wird es jedoch so ergehen wie den meisten Menschen, die derzeit in die Sars-Gebiete fahren: Das beruhigende Polster guter Ratschläge und offizieller Entwarnungen ist bereits kurz nach der Ankunft aufgebraucht – spätestens beim Anblick der weißen Gesichtsmasken überkommt auch unverdrossene Gesundheitsoptimisten ein banges Gefühl.

Jedoch ist die Gefahr einer Sars-Infektion, im Gegensatz zu bestimmten Regionen Chinas, in den vom Bundeskanzler bereisten Ländern Indonesien, Malaysia, Singapur und Vietnam äußerst gering. Indonesien meldete bisher gerade mal zwei, Malaysia sieben Fälle. In Singapur, dem mit über 200 Sars- Erkrankungen am schwersten betroffenen Staat nach China, gehen die Neuinfektionen langsam zurück – ein Erfolg der drastischen Kontrollen und Quarantänemaßnahmen. Dem Anfangs ebenfalls schwer betroffenen Vietnam ist es sogar gelungen, durch konsequente Kontrollen bei der Einreise das Sars-Virus aus dem Land zu halten: Seit mehr als vier Wochen wurde kein neuer Fall registriert.

Nach einer Daumenregel gilt eine Seuche dann als besiegt, wenn in einem Zeitraum, der doppelt so lang ist wie die längste Inkubationszeit – bei Sars beträgt sie bis zu 10 Tage – keine Neuinfektionen mehr auftreten. Vietnam gilt deshalb als Sars-frei, solange der Erreger nicht erneut eingeschleppt wird.

Um den Kanzler vor Sars zu schützen, wäre die starke Verkleinerung der Entourage – von den ursprünglich rund 80 deutschen Wirtschaftsvertretern ist nur Siemens-Chef Heinrich von Pierer übrig geblieben – und die Verkürzung des Programms also nicht notwendig gewesen: Selbst eine volle Jumbojet-Ladung von 390 Wirtschaftslenkern und Journalisten entspräche nur einem Bruchteil der Menschenströme, die in Frankfurt und München täglich aus Fernost einfliegen und bisher ganze neun Sars-Fälle ins Land gebracht haben.

Die Entscheidung für die Reise mit einer Mini-Delegation war dennoch richtig, aus praktischen und psychologischen Gründen. Eine praktische Tatsache ist: Mit der Anzahl der Teilnehmer steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand unterwegs eine ganz normale Erkältung einfängt – und die ganze Reisegesellschaft einschließlich Kanzler und Wirtschaftsminister zehn Tage in Quarantäne muss. Das wäre psychologisch schlecht für die angeschlagene Reisebranche. Dass der deutsche Kanzler trotz Sars anreist, ist dagegen ein positives psychologisches Signal für die Menschen in Südostasien – dort werden die Kollateralschäden der Sars-Hysterie für die Wirtschaft und die Gesundheitssysteme mittelfristig wohl mehr Opfer fordern als das Virus selbst.

Praktisch ist wiederum, dass der Kanzler nun rechtzeitig nach Berlin zurückkommt, um den US-Außenminister zu treffen. Wenn einer seiner Reisebegleiter mit Fieber heimkäme, müssten Schröder und Powell bei ihrer Begegnung wohl Gesichtsmasken tragen. Das wäre wiederum schlecht für die deutsch-amerikanischen Beziehungen – psychologisch gesehen.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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