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Religiöse Symbole: Die neue Staatsreligion

Europas Justiz will keinem Land einen Glauben verordnen – aber mehr Gelassenheit.

Die Kirche hat eine schlechte Presse in diesen Tagen der Aufklärungsquerelen um ihren Missbrauchsskandal. Da kommt eine Nachricht aus Straßburg wie herbeigebetet. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hilft einer standhaften Christin, ihr Kreuz an der Kette gegen Zumutungen ihres Arbeitgebers zu verteidigen.

Die Religionsfreiheit werde verletzt, wenn die Frau ihren Glauben nicht durch sichtbaren Schmuck bekennen dürfe, hieß es; wieder einmal, so scheint es, haben die Richter die Rechte des (religiösen) Individuums gegen Politik, Wirtschaft und gesellschaftlichen Druck obsiegen lassen.

Doch bei näherem Blick auf den Fall wird deutlich, dass ein anderes Dogma hinter dem Urteil steht. Die British-Airways-Angestellte kämpfte – schließlich erfolgreich – gegen eine Kleiderordnung, die mehr mit Business als innerem Bekenntnis zu tun hat. Das hatte die Justiz im Königreich zuvor nur falsch gewichtet.

Drei andere Christen erhielten vom Gericht dagegen eine Abfuhr, weil ihr Begehr mit den (Menschen-)Rechten anderer kollidierte. Wie man sich im Krankenhaus schmücken darf, bestimmt die Klinikleitung nach Gesundheitsgründen. Und auch die orthodoxeste Standesbeamtin muss ertragen, wenn Homosexuelle um ihre Dienste bitten, desgleichen ein Therapeut, der von ihnen um Rat gefragt wird. Freiheit vor Diskriminierung bedeutet nicht, andere diskriminieren zu dürfen. Das hat der Gerichtshof in erzieherischer Deutlichkeit klargestellt.

Mit diesen Worten krümmt sich der Straßburger Zeigefinger aber schon und wird sodann rasch eingezogen. Denn verteidigt wird mit dem Urteil nicht die Freiheit des Individuums, sondern die der 47 Mitgliedstaaten des Europarats, für die der Gerichtshof zuständig ist. Den Umgang mit Religion und religiösen Symbolen zu bestimmen, liegt zunächst in deren Verantwortung, man kann es auch so formulieren: in der Verantwortung ihrer demokratisch besetzten Gesetzgebungsorgane.

Eine Zurückhaltung, die Europa guttut und auf einer Linie mit dem viel beachteten Straßburger Urteil vor knapp zwei Jahren liegt, mit dem die Richter die Kruzifixpflicht an Italiens Schulen billigten. Nicht, dass dies für Deutschland erstrebenswert wäre – aber das Straßburger Gericht ist für Mindeststandards im Menschenrechtsschutz zuständig, nicht dafür, ihn politisch zu pointieren.

Bedenkenswert und aktuell bleibt die Frage der Richter damals, ob religiöse Symbole überhaupt so einflussstark sind, wie ihnen zugeschrieben wird – etwa im Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Stoff bei Lehrerinnen als „Gefahr“ für die Schüler eingestuft hatte. Doch auch vor deutschen Gerichten wird weiter um Symbole gerungen, und manches erscheint – auf beiden Seiten – überspannt. Dabei wäre Gelassenheit auch ein Symbol. Vielleicht sogar das stärkste.

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