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Meinung: Religionsfreiheit: In Trier gewährt, in Berlin genommen Kruzifixe in Gerichtssälen sind Unfug

Was wohl die Stadt Trier im äußersten Westen der Republik mit Berlin, ihrer Hauptstadt verbindet? Es ist dies eine lehrreiche Unterscheidung!

Was wohl die Stadt Trier im äußersten Westen der Republik mit Berlin, ihrer Hauptstadt verbindet? Es ist dies eine lehrreiche Unterscheidung! Doch Schritt für Schritt.

Zunächst Trier: Dort ließ der Präsident des Landgerichts im Zuge der Renovierung des Justizgebäudes die Kruzifixe von den Wänden der Gerichtssäle entfernen – und erntete dafür Protest, obwohl er eher Lob verdient hätte. In einem weltanschaulich neutralen Staat, in dem Christen nicht nur mit Atheisten, sondern nebst Juden (wieder) auch mit Muslimen (neuerdings) zusammenleben, haben in Räumen, in denen es um staatliche Pflichten und Rechte geht, Symbole religiöser Glaubensbekenntnisse nichts verloren. Wohl muss ein Jude, Muslim oder Atheist – so gut wie ein Christ – vor dem weltlichen Gericht erscheinen, wenn es der Staat aus seinem Recht verlangt; aber sich vor einem christlichen Bekenntniszeichen verbeugen – das muss er nicht. Dies alles steht schon in jenen Religionsartikeln der Weimarer Verfassung von 1919, die 1949 ins Grundgesetz übernommen wurden. Nur dass man das, so lange es niemand dringlich verlangte, in der Praxis kaum beachtet hat.

Der katholische Bischof von Trier beklagt nun einen „historischen Einschnitt“, und sieht in der Entscheidung des Landgerichtspräsidenten einen Versuch, „unsere Tradition und Herkunft zu verdrängen“. Mit Verlaub: Zu unserer Tradition gehört eben glücklicherweise auch beides: die Freiheit der Religion von staatlichem Zwang ebenso wie Freiheit der staatlichen Rechte und Pflichten von religiösem Druck. Im Übrigen kann ich ein sarkastisches Schmunzeln kaum unterdrücken: In deutschen Gerichtssälen werden am laufenden Bande auch Ehen geschieden, was nach katholischer Doktrin ein ausgesprochenes Sakrileg ist; ähnlich verhält es sich in den Fällen, in denen nach dem Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches über Abtreibungen judiziert wird. Soll dies alles, was dem katholischen Glauben und Kirchenrecht massiv widerspricht, in weltlichen Gerichtssälen durch ein Kruzifix an der Wand gewissermaßen „abgesegnet“ werden? Im Ernst: Wir können doch in der aktuellen Auseinandersetzung mit dem Islam nicht auf der strikten Trennung zwischen religiöser Doktrin und weltlichem Recht bestehen – und sie bei uns allenfalls widerwillig akzeptieren oder gar ablehnen.

Nun zu Berlin: Ist hier also der Religionsunterricht nicht zu Recht aus den staatlichen Stundenplänen verbannt worden? Im Gegenteil! Der Staat darf zwar keineswegs jemanden zum Religionsunterricht zwingen (so wenig er jemanden zwingen kann, unter dem Kreuz verurteilt zu werden); er hat dies ja auch – anders als etwa im königlichen Preußen – gar nicht (mehr) getan. Aber er kann genauso wenig den Eltern und Schülern einen Religionsunterricht verweigern, den sie aus freien Stücken und als Element des existentiellen Bildungsprozesses wünschen – oder ihnen sogar zwingend vorschreiben, worin sie stattdessen unterrichtet werden.

In Trier wurde – so gesehen – ein Stück Freiheit (von staatlichem Religionszwang) gewährt, in Berlin wurde mit staatlichem Zwang Eltern und Kindern ein Stück Bildungs- und Religionsfreiheit genommen. Das also ist der Unterschied, der diese beiden Städte derzeit miteinander verbindet.

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