zum Hauptinhalt

Meinung: Rente – auch für die Jungen

Nicht nur grüne, auch sozialdemokratische Abgeordnete rebellieren gegen den Kanzler

Lange hat es nicht gedauert. Knapp acht Wochen nach der Bundestagswahl droht Gerhard Schröder ein erster Verlust der eigenen Mehrheit. Am Freitag wird im Bundestag unter Tagesordnungspunkt 12. a. über das „Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze“ in der Kranken- und Rentenversicherung abgestimmt. In zweiter und dritter Lesung, also endgültig. Doch das, was im Gesetzestitel „Sicherung“ lautet, ist eine Erhöhung. Was die Rente anbelangt, von 19,1 auf 19,5 – statt auf 19,3 Prozent, wie von Rot-Grün erst geplant.

Nun heben immer mehr Koalitionsabgeordnete die Hand, die eben dies, das Handheben, am Freitag verweigern wollen. Die Opposition wird Schröder nicht aus der Patsche helfen. Denn diesmal geht es nicht um die Außenpolitik, wo der Kanzler mittels des Kunstgriffs Vertrauensfrage die rot-grüne Mehrheit erzwingen und die Bürgerlichen ins Nein treiben konnte, diesmal geht es um die Sozialpolitik. Wo alles, was Rot-Grün unternimmt, Union und FDP Tränen der Wut in die Augen treibt.

Doch es ist die inner-koalitionäre Tonlage, die in höchstem Maße gereizt ist. Das zeigt an sich schon an, dass es hier um mehr geht als um zwei Zehntelstellen hinter dem Komma. Es geht um noch zumutbare Belastungen. Es geht um politische Prioritäten: Wachstum ermöglichen – oder es für den sozialen Frieden abwürgen, indem Arbeit weiter teurer wird. Es geht um Gerechtigkeit: Wer soll Lasten schultern, Arbeitende oder Senioren?

Jenseits der Kommastellen und Verteilungsdebatten regt sich da Unmut über den Kanzler selbst. Da ist zunächst sein Stil. Die Grünen haben der SPD den Machterhalt serviert, doch Schröder regiert nach der Devise, dass Brosamen für den Juniorpartner reichen müssten. Gegen das, was sie als Selbstherrlichkeit und autoritäre Kanzlerworte begreifen, rebellieren nun die Jungen. Und hier steckt das zweite Motiv. Noch sind ein paar Tage Zeit, die die beiden Fraktionsspitzen zur Bearbeitung der Aufsässigen benutzen werden. Wie das ausgeht, ist offen. Was den Widerspruchsgeist an sich anbelangt, ist er indes beileibe kein grünes Phänomen. Die Jungen in der SPD-Fraktion sind genauso rebellisch. Ihre Stimmung ist durchaus vergleichbar mit dem, was viele in Deutschland derzeit denken: Dafür haben wir Rot-Grün bestätigt? Dafür regieren die weiter?

Der offiziöse Begriff mag Generationengerechtigkeit lauten. Das wäre der Name für das, was positiv zu fordern ist. Der Vorwurf aber lautet Mutlosigkeit.

Es ist tröstlich, zu wissen, dass es in beiden Regierungsfraktionen eine meist jüngere Minderheit gibt, die bezweifelt, was die Regierungsspitze verkündet: Dass es in der Konjunkturmisere keine Stellschrauben gibt außer des immergleichen Drehens an der Steuer- und Abgabenspirale. Schröder sagt, dass dies nötig sei, um den akuten Zusammenbruch der Sozialsysteme zu vermeiden. Er stellt sich eine Art tabula rasa vor, ein planiertes Gelände, in dem die Sturmschäden der Wirtschaftskrise beseitigt sind, ehe dann der Neuaufbau beginnt. Dieses Zwei-Stufen-Verfahren nimmt ihm indes kaum mehr jemand ab. Jetzt höhere Steuern und Abgaben, um eben jene Systeme zu retten, die dann grundreformiert werden, um Steuern und Abgaben zu senken: So sieht es der Kanzler. Das Land glaubt ihm nicht. Und seine Koalition? Es bräuchte nicht viele Nein-Stimmen, und die Mehrheit wäre weg. Ein Gau. Am Freitag werden wir mehr wissen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false