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Wahlverlierer Matteo Renzi: Ist sein Comeback bei der PD schon wieder vorbei?

© Reuters/Alessandro Bianchi

Richtungsweisende Parlamentswahl: Die Sehnsucht nach Wandel spaltet Italien

So klar der Wille der Wähler nach Wechsel, so unklar ist am Tag nach der Wahl, wie Italiens künftige Regierung aussehen wird. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

An diesem Sonntag hat sich die politische Landkarte Italiens dramatisch verändert, und der Wille der Wählerinnen scheint klarer denn je: Sie wollen den Wechsel. Die Parteien, um die sich bisher die politischen Lager gruppierten, Berlusconis Forza Italia rechts und der Partito Democratico links, der bisher mit Mitte-Rechts regierte, sind deutlich abgerutscht, rechts hat die fremdenfeindliche Lega Nord ihr Ergebnis der letzten Wahl vervierfachen und den alten Patron hinter sich lassen können.

Stimmen des PD dagegen sind erneut massiv an die 5-Sterne-Bewegung des früheren TV-Satirikers Beppe Grillo gegangen, die nach ihrem Überraschungserfolg 2013 noch einmal einen Sprung um etwa sieben Prozentpunkte schaffte und jetzt mit 32 Prozent die stärkste einzelne Partei geworden ist.

Die Sozialdemokraten sind abgestraft

Am Erfolg des Movimento Cinque Stelle, das im EU-Ausland zu Unrecht noch immer als kuriose Sekte belächelt oder als populistischer Irrsinn exkommuniziert wird, lässt sich besonders deutlich ablesen, wonach sich die Italienerinnen und Italiener sehnen: Die Bewegung, die sich inzwischen damit abfindet, Partei zu werden, hat den Bruch mit der verbreiteten politischen Korruption nicht nur versprochen, sie hat bisher ihr politisches Personal auch nach diesem Prinzip ausgesucht beziehungsweise sich gegebenenfalls von ihm getrennt.

Ihr soziales Programm hat die alte Linke beerbt: Mit dem Versprechen einer Grundsicherung und dem Eindämmen jener prekären Beschäftigungsverhältnisse, die inzwischen das Leben der gesamten jungen Generation bestimmen - wenn sie nicht auswandert - eroberte M5S den Süden des Landes und reichte auf Sizilien sogar fast an die 50 Prozent heran.

Italiens Süden profitiert nicht vom Aufschwung

Italiens jüngste Wirtschaftsdaten geben wieder etwas Grund zur Hoffnung, aber wie anderswo auch macht der kleine Aufschwung keine Anstalten, unten anzukommen. Und im Süden mit seiner desaströsen Arbeitslosenzahl schon gar nicht. Davon profitierten die einstigen "Grillini", denen der Wechsel von der Ein-Mann-Show Grillos zur (fast) normalen Partei unterm neuen jungen Chef Luigi Di Maio nicht nur nicht geschadet, sondern die er noch gestärkt hat.

Der Absturz des halblinken PD unter Matteo Renzi, der sich als Premier vor allem einer später gescheiterten Verfassungsreform und umstrittenen Arbeitsmarktmaßnahmen widmete, ist folgerichtig und könnte seiner Partei am Ende helfen - wenn sie denn nach dem Ende der Ära Renzi zum Kerngeschäft zurückfindet und der unteren Hälfte der Bevölkerung glaubhafte Angebote macht. Ihr letzter Premier Paolo Gentiloni, der im letzten Jahr mit geradezu merkelianischer Ruhe und Uneitelkeit regierte, wäre dafür womöglich der richtige Mann. Vorerst setzt sich in Italien der Fall der europäischen Sozialdemokratie fort. Die auf unter 20 Prozent gerutschte Partei könnte sich in die Opposition verabschieden - aber das wollte die deutsche Schwester SPD ja auch einmal.

Wird die Anti-Parteien-Partei regieren?

Auch der Erfolg der rechtspopulistischen Lega Nord ist Ausdruck einer Sehnsucht nach mehr sozialer Sicherheit und Arbeit, von der man leben kann. Wenn auch einer, der tief beunruhigen muss. Die Lega unter Matteo Salvini hat im reichen Norden abgeräumt, wo ein großer Teil des italienischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet wird. Aber auch hier arbeiten viele in prekären Jobs, die zum Leben nur reichen, wenn man mehrere davon hat. Die Lösung der Lega heißt: Die Ausländer sind schuld, und es wäre falsch, in den vielen Stimmen, die ihr das verschaffte, nur Ausdruck verzweifelten Sozialprotests zu sehen. Die Partei, lange von Umberto Bossi geführt, gibt es seit rund dreißig Jahren und so lange hetzt sie auch gegen Einwanderer. Fremdenhass und -angst sind seit langem salonfähig.

Fragt sich, was aus den Sehnsucht derer wird, die am Sonntag gesprochen haben. Ihr Votum vom Sonntag hat keine klare Mehrheit gebracht. Der Mitte-Rechts-Block, in dem jetzt statt Berlusconi Salvini den Ton angibt, ist der stärkste, aber auch er würde Koalitionspartner brauchen. M5S, die sich vor vier Jahren noch jedweder Koalition verweigerten, scheinen jetzt zu Gesprächen bereit - wobei noch fraglich ist, ob sie schließlich wirklich regieren will, ob die Anti-Parteien-Partei über dieser Frage die Spaltung riskiert oder ihr starkes Ergebnis als Auftrag sehen wird, Verantwortung zu übernehmen.

Womöglich mit der anderen Einzel-Siegerin Lega? Dieses beunruhigende Szenario wird bereits von einigen Kommentatoren an die Wand gemalt und es ist so unrealistisch nicht: Auch die Grillini sind mit Opposition gegen EU-Europa groß geworden und haben sich in Migrationsfragen mindestens ambivalent geäußert. Im Augenblick lässt sich nur sagen: Die Lage ist maximal offen, und Vorhersagen sind an diesem Tag nach der Wahl noch weniger zu machen als sonst. Ganz besonders von Deutschland aus.

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