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Meinung: Rien ne va plus

Frankreichs Präsident Chirac muss nach dem Irak-Krieg den diplomatischen Rückzug antreten – seine einzige Hoffnung heißt Blair

Was ist der Unterschied zwischen Goslar und New York? Ganz einfach: Goslar kennen die Amerikaner nicht – oder wollen es nicht mehr kennen. Jetzt, da der Irak-Krieg vorbei ist, scheint es den US-Präsidenten George W. Bush und selbst seinen Vize Dick Cheney nicht mehr groß zu interessieren, dass Gerhard Schröder einst in Goslar, tief im niedersächsischen Wahlkampf, seinen strikten Anti-Kriegs-Kurs zementierte.

In New York spielte sich dagegen eine andere Szene ab, die die USA bis heute nicht verwunden haben: Im UN-Sicherheitsrat hielt Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin eine flammende Rede gegen den Krieg, es gab Applaus auf offener Szene. Für diese Rede muss Frankreich jetzt büßen. Deutschland hat kein Veto im Sicherheitsrat und muss schlimmstenfalls damit rechnen, von Bush und Cheney noch eine Weile ignoriert zu werden. Dem französischen Präsidenten Jacques Chirac will der US-Präsident aber seine strikte Haltung gegen den Krieg mit gleicher Münze zurückzahlen.

Chirac sieht sich als globalen Gegenpol zu Bush, hat dabei aber derzeit keinen leichten Stand. Denn die Tage des Vorkrieges und Krieges sind vorbei, als er noch ein absolutes Popularitätshoch genoss. Mit den nicht ganz übersichtlichen irakischen Nachkriegsbildern – erst pro-amerikanische Schiiten, dann anti-amerikanische Schiiten – hat auch bei Frankreichs Politikern das große Nachdenken über den weiteren Kurs eingesetzt. Nach außen hält Chirac noch an seiner Linie fest, den Krieg auch nicht im Nachhinein durch die Vereinten Nationen legitimieren zu lassen. Aber bei seiner Nahost-Reise hatte sein Chefdiplomat de Villepin in der vergangenen Woche ein rhetorisches Problem: Wie soll er erklären, dass Frankreich das Ergebnis des Krieges zwar gutheißt, nicht aber den Krieg als solchen? Und auch in der Heimat gärt es: Selbst einige Abgeordnete von Chiracs Partei UMP stellen die „Friedensachse“ Paris-Berlin-Moskau in Frage.

Frankreich muss deshalb bei den UN zum geordneten Rückzug antreten. Paris will – auch aus wirtschaftlichem Interesse – verhindern, dass die UN mit einem Schlag jegliche Kontrolle über den Irak verlieren. Chirac kann sich aber kaum dagegen sperren, dass die Sanktionen gegen den Irak abgeschwächt werden. Deshalb bietet er den USA einen Handel an: Die Sanktionen zu suspendieren – wenn gleichzeitig die UN-Inspekteure in den Irak zurückkehren können.

Bei dem 20-minütigen Telefongespräch zwischen Bush und Chirac Mitte April war es nicht der Amtsinhaber im Weißen Haus, sondern der Präsident aus dem Elysée-Palast, der zum Telefonhörer griff. Das zeigt schon die ungleiche Rollenverteilung in diesem Spiel. Chirac also allein bei den Vereinten Nationen? Auch wieder nicht ganz. Schließlich gibt es noch die Briten, und die verlangen von ihrem Premierminister weiter einen unabhängigen Beweis für die Existenz von Saddams Massenvernichtungswaffen. Tony Blair hat also einen Grund, über die Rückkehr der UN-Inspekteure nachzudenken. Seltsam, aber wahr: Ausgerechnet das verkrachte Paar Chirac-Blair könnte hier ein gemeinsames Interesse entwickeln.

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