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Meinung: Rinderwahn: Das Ende der Heuchelei

Die Zeit der vorsätzlichen Lügen ist seit einem Jahr vorbei. Zumindest wenn es um den Rinderwahn in Deutschland geht.

Die Zeit der vorsätzlichen Lügen ist seit einem Jahr vorbei. Zumindest wenn es um den Rinderwahn in Deutschland geht. Bis zum 24. November 2000 hatte der damalige Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke noch stereotyp wiederholt, was auch sein Vorgänger Jochen Borchert schon behauptet hatte: Deutschland ist BSE-frei. Der erste Verdachtsfall auf einem Hof in Schleswig-Holstein, der zwei Tage später bestätigt wurde, bewies den Irrtum.

Zum Thema Rückblick: Der Beginn der BSE-Krise in Deutschland Jahrelang hatte die Bundesregierung versucht, das Problem einfach auszusitzen. Spätestens als Anfang der 90er Jahre die Epidemie der Bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) in Großbritannien ihrem Höhepunkt zustrebte, hätte sie reagieren müssen. Stattdessen kopierte man auch hier zu Lande die britische Strategie und leugnete das Auftreten des Rinderwahns zumindest für die deutschen Herden. Dabei war damals schon bekannt, dass britisches Tiermehl, das auf der Insel nicht mehr verfüttert werden durfte, überall in Europa noch immer reißenden Absatz fand.

Wie viele kranke Rinder in Deutschland in die Nahrungskette gelangt sind, weiß keiner. Für Großbritannien lauten die Schätzungen auf eine Zahl von 750 000. Und ausgerechnet das risikoreichste Material, so genanntes Separatorenfleisch, das mechanisch von der Wirbelsäule abgekratzt wurde, landete dort vor allem in Baby-Nahrung. Niemand weiß, wie hoch das Risiko für die Menschen ist. Bisher sind 106 Briten an der menschlichen Form von BSE, der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, gestorben.

In Deutschland gibt es bisher keine Toten. Doch wenn auch hier Menschen erkranken und sterben sollten, dann müssen sich auch die Landwirtschaftsminister Borchert und Funke Vorwürfe machen. Bis zuletzt hat Karl-Heinz Funke dafür gesorgt, dass das risikoreiche Separatorenfleisch weiter in die Wurst gestopft werden durfte. Ein Verarbeitungsverbot in der Europäischen Union scheiterte noch im Herbst 2000 ausgerechnet an Deutschland.

Die Wende kam erst mit der ersten BSE-Kuh und somit keineswegs freiwillig. Funke und mit ihm die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer mussten gehen, weil ihnen die Bewältigung der Krise nicht zugetraut wurde.

Seit Januar 2001 kämpft Funkes Nachfolgerin Renate Künast um eine Agrarwende, weil sie davon überzeugt ist, dass BSE nur ein Symptom einer falschen Landwirtschaftspolitik war. Wenn die Beamten ihres Ministeriums vom "Regierungswechsel" sprechen, meinen sie nicht den Beginn der rot-grünen Koalition nach den Wahlen von 1998, sondern den Amtsantritt Künasts.

Inzwischen sind rund zwei Millionen Rinder auf BSE getestet worden, bevor ihr Fleisch in den Handel gelangte. 124 kranke Tiere wurden bisher gefunden. Und die Agrarwende gewinnt langsam Konturen. Selbst wenn das rot-grüne Bündnis die nächste Wahl verlieren sollte, hätte Renate Künast mehr dauerhafte Veränderung angestoßen, als den Landwirtschaftsverwaltungen, dem Bauernverband und der Lebensmittel-Industrie lieb ist. Die Zeit der Ausflüchte ist vorbei.

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