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Schwerer Unfall in der beliebten ZDF-Unterhaltungsshow "Wetten, dass..?". Kandidat Samuel Koch wird nach Ansicht seiner Ärzte nie wieder normal laufen können.

© dpa

Risikogesellschaft: Wetten, dass etwas passiert

Wie trügerisch, aber auch zeitgemäß das Vertrauen in die Technik ist, davon erzählt nicht nur der Unfall bei „Wetten dass...?“. Wer „schneller, höher, weiter“ wie in der Poweriser-Werbung will, sollte es mit eigener Kraft schaffen. Sonst ist es nichts wert.

Er hatte sich jeden Schritt genau überlegt. Es gab Absprungmarkierungen am Boden und Anweisungen, wie schnell die Autos, die der 23-jährige Samuel Koch am Samstagabend vor einem Millionenpublikum bei „Wetten dass...?“ überspringen wollte, auf ihn zufahren sollten. Er wusste, dass es machbar war. Aber ein Problem mit dem Risiko ist, dass man es nie ganz einschätzen kann. Sonst wäre es ja keins. Ein anderes, dass wir nicht ohne können. Denn was trieb den Wettkandidaten zu seinem „Power Jump“, von dem er selbst sagte, es sei „ein ekelhaftes Gefühl“, auf entgegenkommende Autos zuzulaufen? Was, wenn nicht der Wunsch, sein Talent als Leistungsturner mit etwas Außergewöhnlichem zu veredeln.

Es muss ein archaisches Bedürfnis des Menschen sein, die eigenen Grenzen zu erweitern und immer wieder der uns ebenso wichtigen Sehnsucht nach Geborgenheit und Totalabsicherung zu entfliehen. Denn weit reicht geschichtlich die Lust nach dem Kitzel akrobatischer Höchstleistungen zurück. Messerwerfer, Drahtseiltänzer und Trapezkünstler, das waren die Attraktionen des vormedialen Zeitalters. Und auch sie lebten davon, dass das Publikum nie die Gewissheit besaß, dass das Bravourstück wirklich klappen würde. Man nahm es an. Wie man eben immer annimmt, dass Leute schon wissen, was sie tun, wenn es für sie gefährlich wird. Heute sind es halsbrecherische Trendsportarten wie Basejumping, Trialbiking oder alles, was mit Freestyle anfängt, die das Bild der physischen Extreme prägen. Meistens werden Rekorde hier abseits der breiten Öffentlichkeit gesucht. Wenn es überhaupt Bilddokumente gibt, dann werden sie über die Netzkanäle der neuen Medien verbreitet. Und sehr oft tragen diese modernen Adrenalinjunkies, wenn sie mit einem Rucksack auf dem Rücken von Hochhäusern in die Tiefe springen, auf Skiern steilste Bergwände hinabfliegen oder in einem Kajak Wasserfälle hinabstürzen, einen Helm mit „Red Bull“-Logo.

Der Getränkehersteller steht mit seiner Lifestyle-Kampagnen für die Symbiose von Mensch und modernster Technik. Man soll sich austoben dürfen, aber bitte schön, mit einem möglichst coolen Gerät. So sind viele Aktionen der nach immer neuen Bestmarken strebenden Freerider ohne die technologischen Sprünge der letzten Jahre nicht denkbar. Basejumper profitieren von Fallschirmen, die sich viel schneller öffnen und exakter lenken lassen. Oder sie tragen sogenannte Wingsuits, flügelartige Häute an Armen und Beinen. Und die vielen Freizeitbergsteiger, die jedes Jahr auf den Mount Everest hinaufwollen, können das ebenfalls nur, weil modernste Hilfsmittel ihren Mangel an Können kompensieren.

Wie trügerisch, aber auch zeitgemäß dieses Vertrauen in die Technik ist, davon erzählen die Toten am höchsten Berg der Erde ebenso wie der Unfall bei „Wetten dass...?“. Hätte Samuel Koch seinen Autosprung auch ohne die „Poweriser“ gewagt, die als futuristische Sprungfedern um seine Beine geschnallt waren? Sie erst gaben ihm die Kraft, es überhaupt in Erwägung zu ziehen. Und sie waren wohl auch zu cool, als dass nicht auch das ZDF ihrem Reiz erlag. „Wetten dass...?“ droht gegenüber privaten TV-Formaten wie „Schlag den Raab“, die auf deutlich höheres Risiko setzen, zu verlieren. Da liegt es nahe, Extremsportarten in die Sendung zu holen, bei denen die Akteure ihre Knochenbrüche oft wie Trophäen feiern.

Auf den Hofer Filmtagen lief jetzt ein Film mit dem Titel „Der Mann, der über Autos sprang“. Es geht um einen Träumer.

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