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Russland: An der Seite des All-Mächtigen

Wie Wladimir Putin die Macht erst loslassen und dann gleich wieder ergreifen will.

Am 12. September nominierte der russische Präsident Wladimir Putin den relativ unbekannten Finanzexperten Viktor Subkow als neuen Ministerpräsidenten. Die Moskauer Korrespondentin dieser Zeitung analysierte die Entscheidung so: „Politische Experten sehen in den Entwicklungen den Beginn des Versuchs Putins, sich die Macht zu sichern. Vermutet wird, dass nach den Duma-Wahlen am 2. Dezember Verfassungsänderungen geplant sind, mit denen der Präsident Kernkompetenzen an den Premier abtreten soll – dieser würde zum neuen Machthaber Russlands. Als wahrscheinlichster Kandidat gilt Putin.“ Am Montag hat Putin seine Kandidatur erklärt.

Putins zweite Amtszeit als Präsident Russlands endet im März 2008. Die Verfassung verbietet eine direkte dritte Periode. Vorstellbar wäre aber, dass der 54-Jährige sich nach einem Interregnum erneut als Präsident bewirbt. Vielleicht muss er das aber gar nicht. Als er sich jetzt selbst für die Spitzenkandidatur der dem Kreml treu ergebenen Partei Einiges Russland ins Gespräch brachte, nannte er zwei Bedingungen: einen hohen Wahlsieg und als Präsident eine „ordentliche, fähige und moderne Person“, mit der er gut zusammenarbeiten könne.

Wenn man bedenkt, dass nach der russischen Verfassung der Präsident die politischen Richtlinien vorgibt und der Premier, der Ministerpräsident, eher vollstreckendes Organ des präsidialen Willens ist, zeichnet sich mit dieser arroganten Vorgabe schon die anstehende Machtverschiebung ab. Dazu aber braucht Putin den hohen Wahlsieg. Erreicht die Partei Einiges Russland nämlich eine Zweidrittelmehrheit in der Duma, kann sie die Verfassung ändern, den Regierungschef stärken und die Funktion des Präsidenten auf repräsentative Aufgaben beschränken. Viktor Subkow, der jetzige Premier, ein politischer Weggenosse Putins schon in dessen Petersburger Tagen, wäre genau die ordentliche, fähige und moderne Person, die sich Putin im Kreml wünscht – ein handzahmer Mann an der Seite des All-Mächtigen.

Für westliche Ohren klingt dieser Umgang mit der Verfassung und der austarierten Balance zwischen den Staatsorganen abenteuerlich. In der „gelenkten Demokratie“ Russlands befremdet das aber vorwiegend die politischen Beobachter. Den meisten einfachen Bürgern indes sind die turbulenten, unsicheren, von sozialen Verwerfungen geprägten frühen 90er Jahre in unangenehmer Erinnerung.

Diese Menschen bewundern an Putin dessen erfolgreiche Versuche, die wirtschaftlichen Verhältnisse wieder zu stabilisieren und seine Entschlossenheit, das internationale Ansehen der einstigen Supermacht zu stärken. Viele Bürger empfanden in der Jelzin-Ära nicht nur die ökonomische Not als bedrückend. Sie fühlten sich auch durch die außenpolitische Schwäche ihres Landes persönlich verletzt. Dass Putin das geändert hat, macht diese Menschen nun zu seinen Anhängern.

Gerd Appenzeller

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