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Russland: Der Spion, den wir lieben

Russland bespitzelt die USA. Irgendwie passt der Spion nicht mehr in unsere Zeit. In Internetzeiten wirkt das anachronistisch. Ein Kommentar.

In Moskau behielt man die Fassung. „Wir werten alle Informationen aus“, hieß es aus Regierungskreisen, nachdem in den USA am Sonntag ein Spionagering russischer Agenten aufgeflogen war. Die elf Verdächtigen sollen amerikanische Politiker ausgehorcht und ihre Erkenntnisse über ein verschlüsseltes Netzwerk weitergegeben haben. Das FBI kam dem Zirkel bereits vor zehn Jahren auf die Schliche, jetzt schlug man bei einer fingierten Geldübergabe zu – und im Kreml macht man einfach weiter mit dem Auswerten der Informationen. Business as unusual.

Spionage, ein Wort aus den unendlichen Tiefen des politischen Raumes. Plötzlich ist es wieder da. Dass die Gier nach Informationen, die andere geheim halten wollen, nicht nachgelassen hat, davor warnt insbesondere die deutsche Wirtschaft oft. Ihr technologischer Vorsprung droht immer wieder durch Industriespionage zunichte gemacht zu werden. Dass auch Politiker Ziel solcher Attacken sind, verwundert indessen. Ist das nicht reichlich antiquiert?

Längst hat die Spionage ihren erotischen Reiz verloren, den sie auch aus der gezielten Enthüllung bezog. Wo man nur ein bisschen erfuhr, war die Lust, mehr zu wissen, ungestillt – und das gegenseitige Misstrauen zudem noch eine hoch entwickelte Kulturtechnik. Heute, da via Internetforen wie Facebook, Twitter oder Myspace intimste Details von den Menschen selbst in die Welt hinausposaunt werden, wirkt der Spion wie ein Surfer, der von einem Tsunami überrollt wird.

Und ist nicht die ganze Welt voller Agenten, deren Mission es ist, zu werben für Personen oder Produkte, statt ihr Exklusivwissen für sich zu behalten. Nein, irgendwie passt der Spion nicht mehr in unsere Zeit. Aber dass das FBI sich ein Jahrzehnt mit der verdächtigen Gruppe russlandtreuer Spitzel auseinandersetzte, verrät auch, wofür Staatsfeinde eigentlich gut sind. Sie halten den Apparat der Gegenspionage am Laufen. Denn Spionage ist auch im Google-Zeitalter allgemein zugänglicher Informationen vor allem eines: paranoid.

Trotzdem sollte der Fall nicht auf die ganz leichte Schulter genommen werden. Beweisen die jüngsten Verhaftungen doch, dass der aus den Trümmern des KGB hervorgegangene russische Auslandsgeheimdienst SVR einen gefährlichen Überhang an Geheimnistuerei erzeugt. Und seine Ziele mit akribischer Geduld verfolgt. Mag die Strategie auch diesmal nicht aufgegangen sein, angeworbene Agenten über Studium, Ausbildung und ein amerikanisches Mittelstandsleben dahin zu bringen, an Entscheidungsträger heranzukommen, so zeugt sie doch von enormen Ressourcen. Und, was gefährlicher ist, von Vertrauen.

Denn Spione werden nicht nur durch Geld an ihre Auftraggeber gebunden. Vielmehr durch etwas so Altertümliches wie Treue. Die Karrieren von Geheimdienstlern wie Markus „Mischa“ Wolf und BND- Gründer Reinhard Gehlen verdanken sich dem Wissen ihrer Informanten, nicht verraten zu werden.

Gewiss, James Bond hatte das nicht nötig. Aber die Quittung erhält er nun. Sein Arbeitgeber Metro-Goldwyn-Mayer wird verkauft.

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