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Wladimir Putin zeigte "Verständnis" für die Kritik am Adoptionsstopp.

© Reuters

Russland: Ein schlechtes Zeichen für Putin

Der Adoptionsstopp für russische Kinder kann verheerende Folgen für Wladimir Putin haben. Wenn es um Waisen und Behinderte geht, scheuen die Russen auch Kritik an ihrem Präsidenten nicht.

Mit Worten, weiß ein russisches Sprichwort, verhält es sich wie mit Hammeln: Einmal losgelassen, kann man sie nur schwer wieder einfangen. Auch Wladimir Putin erfuhr dies, als er „Verständnis“ für die harte Linie des Parlaments zum Adoptionsstopp russischer Kinder durch amerikanische Familien äußert. Die Volksvertreter, seit Putins Machtantritt vor zwölf Jahren dressiert, Wünsche des Kremlherrschers in Gesetze zu gießen, verstanden die Worte als Kommando. Und brachten damit nicht nur die üblichen Verdächtigen – Bürgerrechtler und fortschrittliche Intellektuelle –, sondern auch hohe Beamte und die mehr oder minder gleichgeschalteten Medien auf – gegen sich selbst und gegen Putin. Kritische Worte musste dieser sich sogar von linientreuen Journalisten anhören. Sie und nicht Russlands starker Mann gaben bei dessen Jahrespressekonferenz am Donnerstag den Kammerton vor.

Das ist ein schlechtes Zeichen für Putin. Es ist womöglich der erste Haarriss in der straffen Machtvertikale, die er dem Land übergestülpt hat: ein System, bei dem Befehle von oben nach unten und Informationen in umgekehrter Reihenfolge durchgestellt werden. Doch Haarrisse können auch für fest gefügte Bauwerke verheerende Folgen haben. Und die Insubordination staatsnaher Medien hat womöglich eher das Potenzial, einen Systemwandel mit umfassenden Reformen anzustoßen als die Protestbewegung der Fun-Generation, der zunehmend die Fans abhandenkommen. Auch weil das Thema von anderer sozialer Brisanz ist als abstrakte Forderungen nach Demokratie, die vielen Russen eher gleichgültig sind.

Kinder dagegen – in Russland spricht man von „Blumen des Lebens“ – haben durchaus das Zeug, Bündnisse höchst unterschiedlicher politischer Gruppen aus dem Boden zu stampfen. Vor allem die schutzlosesten: Waisen und Behinderte. Nicht aus Sympathie mit dem politischen Modell der USA laufen engagierte Russen Sturm gegen den geplanten Adoptionsstopp. Ihnen geht es dabei vor allem um eine menschenwürdige Zukunft für die Waisen: Nestwärme und medizinische Betreuung auf hohem Niveau.

So wie Russland zurzeit dasteht, kann es beides nicht bieten. Selbst gesunde Waisen warten oft jahrelang vergebens auf Pflegeeltern. Und immer wieder rufen Medien zu Spendenaktionen auf: Für die Wirbelsäulenoperation des kleinen Wanja oder für Knochenmarktransplantationen, die der kleinen Anja das Leben retten sollen. Eltern sind mit den horrenden Kosten dafür so hoffnungslos überfordert wie die chronisch unterfinanzierten Kinderheime. Und die Medien stellen mit der Bettelei, zu der sie sich genötigt sehen, Russland ein Armutszeugnis aus: Das mit Rohstoffen gesegnete Land – sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt – mutet seinen Bürgern eine kostenfreie medizinische Betreuung auf dem Niveau afrikanischer Bananenrepubliken zu. Das Land der Träume, zu dem Dmitri Medwedew Russland machen wollte, als er noch um die Präsidentschaft kämpfte, sieht anders aus.

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