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Revolution in Kiev - für die Eliten in Moskau wahrscheinlich beunruhigende Bilder.

© AFP

Russland und Ukraine: Wenn das Feuer der Revolution überspringt

Angesichts der aktuellen Umstürze in der Ukraine muss auch die russische Elite ein Revolutionsszenario fürchten. Der Opposition fehlt zwar noch ausreichender Rückhalt in der Bevölkerung - doch das Protestpotenzial ist vorhanden.

Es ist noch keine zwei Jahre her, da sah sich Russlands neuer alter Präsident Wladimir Putin Massenprotesten ausgesetzt, die denen in der Ukraine nicht unähnlich waren. Über Monate hinweg versammelten sich auf den Plätzen der Moskauer Innenstadt Regierungsgegner, deren anfänglich gegen die Wahlfälscherpartei „Einiges Russland“ gerichteter Protest bald auch das Staatsoberhaupt ins Visier nahm.

Putin reagierte mit Polizeigewalt und ließ, um seinen Gegnern auch langfristig das Wasser abzugraben, ein paar willkürlich herausgepickte Protestler vor Gericht stellen, zur Abschreckung. Der Plan: medienwirksame Verurteilung, gefolgt von großherziger Begnadigung durch Russlands strengen, aber gerechten Alleinherrscher.

Erstens aber kommt es anders, und zweitens als man denkt. Wie es der Zufall nämlich so wollte, wurden in dem von langer Hand geplanten Schauprozess ausgerechnet am gestrigen Montag die Urteile gesprochen – und vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ukraine entspann sich damit ein Drama, das den erstrebten Effekt ins genaue Gegenteil verkehrte.

Das Regime reagierte auf Proteste nach bewährtem Muster

Mehrere hundert Demonstranten versammelten sich vor dem Gerichtsgebäude, während drinnen sieben Aktivisten zu Freiheitsstrafen zwischen zweieinhalb und vier Jahren verurteilt wurden. Das Regime reagierte nach bewährtem Muster: Rund 200 Demonstranten wurden festgenommen, darunter der Oppositionelle Alexej Nawalnyj und die „Pussy Riot“-Aktivistinnen Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina.

Neu an diesem vertrauten Schauspiel ist, dass die Demonstranten der Polizei das Wort „Berkut!“ entgegenschrien – so heißen die Sondertruppen, die in der Ukraine zur Niederschlagung der Proteste eingesetzt wurden. Ein Zeichen der Stärke hatte Putin setzen wollen, ein Bild von Schwäche und Ratlosigkeit ist daraus geworden. Widerstand zu ignorieren und notfalls niederzuknüppeln, das war die Strategie, an die sich Viktor Janukowitsch bis zuletzt in der Ukraine klammerte, beraten und bestärkt von seinem russischen Amtskollegen. Inzwischen wissen nicht einmal mehr Janukowitschs Parteigenossen, in welches Versteck sich der Hals über Kopf geflohene Präsident verkrochen hat, während in Kiew das Volk durch seinen verlassenen Kitschpalast flaniert.

Kann das ukrainische Revolutionsszenario auch in Russland Realität werden?

Viele Anrainer der Moskauer Millionärsmeile Rubljowka dürften die Besetzung der korruptionsfinanzierten Präsidentenvilla derzeit fröstelnd verfolgen, darunter auch Putin selbst. Zumal ihm und seinen Günstlingen nicht entgangen sein dürfte, wie erhitzt ihre Gegner gerade im russischen Internet über die Frage diskutieren, wann das ukrainische Revolutionsszenario endlich auch in Russland Realität werden könnte.

Sicher nicht morgen. Anders als im Nachbarstaat fehlt Russlands Oppositionskräften noch immer ausreichender Rückhalt in der Bevölkerung – auch wenn das Protestpotenzial durchaus vorhanden ist. Mehr als alles andere wurde in der Ukraine die Korruption des Regimes zum Auslöser der Proteste, gepaart mit der kaltschnäuzigen Bereitschaft, den ergaunerten Besitz notfalls mit Gewalt zu verteidigen. Beides erregt auch in Russland in zunehmendem Maße den Volkszorn. Putin sollte angesichts der ukrainischen Lektion endlich begreifen, dass seine bisher so erfolgreiche Politik der Repression eines Tages auch scheitern könnte – mit verheerenden Folgen für Russland wie für ihn selbst.

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