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Russland: Wie man Größe zeigt

"Wenn ich immer gleich eingeschnappt wäre ...": Angela Merkel erzählt Wladimir Putin, worüber man sich nicht aufregen darf.

Es schäme sich, wer Böses dabei denkt.“ Mit dem Leitmotiv des Hosenbandordens könnte man die Meldungen zu den exzellenten deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen überschreiben, die am Freitag von den Nachrichtenagenturen verbreitet wurden: Siemens vor Milliardengeschäft über Lieferung von Elektroloks; Daimler will mit russischem Lkw-Hersteller Kamaz jährlich 7000 Lastwagenmotoren und 15 000 Achsen bauen; VW steigert Russlandabsatz um 47 Prozent.

Die Botschaft ist klar, ihr Subtext auch: Was gut für die deutsche Wirtschaft ist, ist auch gut für Deutschland, weil es Arbeitsplätze sichert – also keinen Zoff, bitte. Und wenn das just dann verkündet wird, wenn die Kanzlerin, begleitet von Managern deutscher Großkonzerne, zu Gesprächen nach Moskau reist und dort den Kremlchef trifft, muss man über den Hintergrund nicht rätseln. Die Realpolitiker und der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft knüpfen an Egon Bahrs altes und durchaus bewährtes Motto an, wonach Annäherung zu Wandel führt. Der Handel aber ist ein erprobtes Treibmittel für Wandel, und wenn dann auch noch der deutsche Außenminister davor warnt, die Kritik an Russland zu überziehen, scheint alles in gut geschmierten Tüchern.

Nur ist Wandel in Russland, wenn man von den Geschäften absieht, im Moment etwas sehr Rückwärtsgewandtes. So hatte Bahr das aber nicht gemeint, und auch nicht die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit aus dem Jahre 1975, auf die sich seitdem Bürgerbewegungen in Osteuropa beriefen. Aber fast 40 Jahre nach dem Beginn des KSZE-Prozesses werden Nichtregierungsorganisationen in Russland als ausländische Agenten eingestuft und die Zivilgesellschaft hat einen zunehmend schweren Stand. Da muss man aufpassen, dass die offizielle Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung nicht alle Widersprüche zukleistert.

Dass dies nicht geschieht, dafür sorgt Merkel. Sie versteht Russland in vielerlei Beziehung immer noch besser als die Beschwichtigungspolitiker, die schon ein offenes Wort gegenüber Putin für riskant halten. Sie macht ihrem Gesprächspartner auf die typisch beiläufige Merkel-Art deutlich, warum es ohne Offenheit in den Beziehungen zwischen Staaten nicht geht und dass Diplomatie aufpassen muss, nicht in Appeasement zu enden, weil wir damit unsere Erfahrungen gemacht haben. „Wenn ich immer gleich eingeschnappt wäre, könnte ich keine drei Tage Bundeskanzlerin sein“, ist so ein mit Lächeln vorgetragener Satz an die Adresse des russischen Präsidenten, der schon deshalb wirkt, weil sich Merkel mit ihm kleinmacht, um Putin zu zeigen, wie er Größe beweisen könnte.

In den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland gibt es drei Kreise: den der Wirtschaft, der offiziellen Politik und der Menschenrechte. Wenn diese Kreise sich nicht mehr überschneiden, wird es gefährlich für ein Land, das den Schutz der Menschenwürde – nicht nur des deutschen Menschen – in den ersten Artikel der Verfassung geschrieben hat.

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