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Meinung: Scharons neue Landkarte

Israels Premier will Siedlungen in Gaza räumen, um andere zu halten

Manche Ideen brauchen länger, bis sie sich durchsetzen. Zum Beispiel diese: Israelische Siedler haben im Gaza-Streifen nichts zu suchen. In einem Interview mit der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ hat Premierminister Ariel Scharon gestern gesagt, er habe angeordnet, Evakuierungspläne für die jüdischen Siedlungen in Gaza zu entwerfen. Er gehe davon aus, dass in Zukunft keine Juden mehr in Gaza leben würden. Eine späte Einsicht – aber eine notwendige.

Seit Jahren sind die etwa 1,2 Millionen Palästinenser in Gaza Geiseln der Sicherheitsbedürfnisse von 7500 Siedlern. Die israelische Armee muss einen absurd hohen Aufwand betreiben, um die ideologischen Hardliner zu schützen. Deren Anwesenheit in Gaza dient nicht etwa der israelischen Sicherheit, wie sie gerne behaupten, sondern schafft im Gegenteil erhebliche Sicherheitsprobleme.

Deshalb hat es im Laufe des israelisch-palästinensischen Konflikts mehrere Versuche gegeben, den Gaza-Streifen als Ganzes den Palästinensern zu übergeben, wie es das 2. Osloer Abkommen von 1994 vorsah. Der letzte, noch unter Barak, scheiterte daran, dass die Palästinenser nicht bereit waren, im Vorfeld konsequent gegen Extremisten vorzugehen. Aber auch Barak dürfte am Ende seiner Amtszeit froh gewesen sein, dass ihm eine Konfrontation mit den Siedlern erspart blieb.

Wenn Scharon jetzt vom Rückzug aus Gaza spricht, zeigt das Mut. Wenn einer das Kräftemessen mit den Siedlern wagen kann, dann der „Vater der Siedlungsbewegung“. Es ist zwar richtig, dass Gaza ideologisch keine Rolle spielt im Großisrael-Denken der Extremisten, weil das jüdische Volk hier keine historischen oder biblischen Wurzeln hat. Aber freiwillig werden die Siedler nicht gehen. Angesichts der geringen Umsetzungsrate von Scharon-Erklärungen ist aber Skepsis angebracht, ob diesmal wirklich Taten folgen.

Handeln ohne Partner

So richtig der Plan Scharons ist, haftet ihm doch etwas Gespenstisches an. Frühere Konzepte für Gaza waren immer Teil palästinensisch-israelischer Verhandlungen. Nun ist Scharon dazu übergegangen, einseitig strategische Entscheidungen zu treffen, als gäbe es kein Gegenüber. Das ist das Ergebnis einer völligen Konzeptionslosigkeit auf palästinensischer Seite. Es gibt niemanden, mit dem man dort Abmachungen treffen kann. Arafat nicht, weil man sich auf sein Wort nicht verlassen kann. Premierminister Ahmed Kurei nicht, weil er nicht die Machtmittel hat, Vereinbarungen auch umzusetzen. Weil das so ist, folgt Scharon nur seinem eigenen Fahrplan. Und langsam zeichnet sich ab, wohin der ehemalige Panzergeneral steuert.

Ob der Bau des Sicherheitszauns, die Drohung mit einem einseitigen Teilrückzug aus der Westbank oder nun Gaza: Scharon hat eingesehen, dass Israel nicht ewig am besetzten Territorium festhalten kann, zumindest nicht in seinem ganzen Umfang. Sein neues Konzept heißt Qualität statt Quantität: Er will für Israel uninteressante Gebiete mit hohem palästinensischen Bevölkerungsanteil aufgeben. Dafür wird er am verbliebenen Territorium umso entschlossener festhalten. Eine Frontbegradigung: Israel würde so palästinensischen Selbstmordattentätern weniger Angriffsfläche bieten, und Scharon wäre auch politisch weniger angreifbar.

Es gibt Argumente, die gegen einen einseitigen Rückzug aus Gaza sprechen. Etwa, dass er ohne Gegenleistung von palästinensischer Seite erfolgen würde. Einen israelischen Rückzug ohne politische Konzessionen würde die im Gaza-Streifen starke Terrororganisation Hamas als ihren Sieg verkaufen. Aber damit könnte man leben. Scharons Initiative macht zudem deutlich, wie sehr die Autonomiebehörde in die Defensive geraten ist. Die palästinensische Führung ist derzeit nicht politikfähig. Denn Politik bedeutet, Optionen zu haben. Und die hat die Autonomiebehörde nicht, solange sie die Terroristen nicht wirksam eindämmt.

So richtig ein Rückzug der Siedler aus Gaza auch ist, so lässt sich doch nicht übersehen, dass Scharon an einer neuen Landkarte zeichnet. Die sieht eine Entflechtung von den Palästinensern vor, belässt aber dennoch größere Teile der Westbank bei Israel. Damit können die Palästinenser nicht zufrieden sein. Nur: Wann machen sie endlich Angebote, an denen Scharon nicht vorbeikommt?

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