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Meinung: Schatten auf dem Sonnenprinzen

Der Irakkrieg, die BBC und ein rätselhafter Selbstmord – was wusste Tony Blair?

Nein, das ist keine griechische Tragödie. Hier geht es nicht um die unausweichliche Verstrickung in ein Schicksal, dem man trotz bester Absichten nicht entrinnen kann. Hier hat niemand, Gutes bezweckend, Böses getan. Halt, doch, einer wohl schon. David Kelly, der britische Wissenschaftler, der Selbstmord beging. Er wurde, und merkte es zu spät, vom Handelnden zum Spielball. Alle anderen, der Medienberater des Premierministers, ein leitender BBC-Redakteur, eine Reihe ehrenwerter Abgeordneter des britischen Unterhauses, das Verteidigungsministerium, sind Teil des bösen Spiels um Glaubwürdigkeit und Lüge. Auf Tony Blair, den Sonnenprinzen der britischen Politik, fällt ein Schatten. Es sieht ganz so aus, als paare sich in ihm charismatische Ausstrahlung mit einem brutalen Instinkt für Machterhalt.

Der 59-jährige Mikrobiologe David Kelly war Mitarbeiter des britischen Verteidigungsministeriums. Er gehörte zu den Waffeninspekteuren, die die Vereinten Nationen ab 1991 in den Irak geschickt hatten. Er hat das Land mehr als 30 Mal besucht. Sein Ministerium wusste, dass Kelly Journalisten mit Hintergrundinformationen darüber versorgte. Londoner Korrespondenten berichten, das Ministerium habe dieses Vorgehen Kellys toleriert, weil er es geradezu einzigartig verstanden habe, journalistischen Laien komplexe technisch-biologische Sachverhalte zu erläutern – daran hatte auch das Ministerium ein Interesse.

Ob Kelly dem BBC-Journalisten Andrew Gilligan Hinweise darauf gab, dass er die Angaben der britischen Regierung über Massenvernichtungspotenziale im Irak für übertrieben hielt, wissen wir nicht mit letzter Sicherheit. Auch nicht, ob er, falls ja, wirklich der einzige Informant von Gilligan war, wie die BBC nun behauptet. Denn Kelly kann nicht mehr dementieren. Er ist tot. Aus dem Leben geschieden vermutlich, weil sein eigenes Ministerium seinen Namen in die Öffentlichkeit durchsickern ließ und damit die übliche Vertraulichkeit einem wichtigen Mitarbeiter gegenüber verriet. Ob Verteidigungsminister Geoff Hoon dabei auf Druck engster Mitarbeiter von Tony Blair handelte oder nicht, ist mehr als eine Marginalie. Die Antwort auf diese Frage entscheidet über die Dimension des Skandals.

Blairs Medienberater Alastair Campbell ist vermutlich derjenige gewesen, der die Informationen der Dienste und des Verteidigungsministeriums so „angespitzt“ hat, dass daraus der angeblich denkbare irakische Raketeneinsatz innerhalb von 45 Minuten wurde. Dieses Gespinst aus Fiktion und Fakten hat Kelly durch die Informationen an die BBC vielleicht zerrissen. Vor seinem Tod hatten ihm Labour-Abgeordnete in einer geheimen Ausschusssitzung massiv zugesetzt – sie wollten ihn der Indiskretion überführen und Blairs Integrität schützen. Um die Wahrheit ging es ihnen so wenig wie dem Ministerium, das ihn decouvrierte, und dem BBC-Mann Gilligan, der Kelly nach seinem Tod als den alleinigen Informanten benannte. Vielen Journalisten gilt ein solcher Bruch der ehernen Verpflichtung zum Informantenschutz als unverzeihlicher Verstoß gegen das Berufs-Ethos. Beschämend wird Gilligans Vorgehen, weil es keinen Beweis für die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen gibt. Kelly kann ja nichts mehr dementieren. Die BBC steht wegen ihrer Blair-kritischen Berichterstattung im Zusammenhang mit den Motiven des Irakkrieges unter Druck. Da liegt die Versuchung nahe, sich zu entlasten.

Die britische Justiz ist über jeden Zweifel erhaben. Lordrichter Hutton wird eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge leiten. Nach allem, was man bislang weiß, scheint nur einer der Beteiligten andere als egoistische Motive gehabt zu haben: David Kelly.

Gerd Appenzeller

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