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Meinung: Schecks – und Chancen

Die beste Weg aus der Armut ist der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt

Arm ist in Deutschland, wer von 938 Euro netto im Monat leben muss. Das sind 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens. Im Jahr 2003 waren laut Armutsbericht der Bundesregierung 13,5 Prozent der Bevölkerung arm, also etwa jeder achte.

Die Zahlen klingen dramatischer als sie sind. Zum Glück ist Armut in Deutschland in vielen Fällen kein Dauerzustand. Nach einem Jahr gelingt etwa einem Drittel der Betroffenen der Aufstieg, nach zwei Jahren einem weiteren Drittel. Anlass zur Sorge bieten die sieben Prozent, die über einen deutlich längeren Zeitraum dem Armutsrisiko ausgesetzt sind.

Der Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen versteht unter Gerechtigkeit vor allem Verwirklichungschancen. Die Menschen sollen die Möglichkeit haben, ein Leben zu führen, für das sie sich mit guten Gründen entscheiden konnten. Ein Leben, das ihre Selbstachtung nicht beeinträchtigt.

Kann die Politik überhaupt dazu beitragen, mehr Gerechtigkeit zu schaffen? Ein wenig schon. Wie viel, hängt davon ab, warum ein Mensch einkommensarm ist. Und ohne einen Beitrag der Betroffenen wird sich zumindest in einigen Fällen wenig ändern. Die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft liegt darin, vererbte Armut zu bekämpfen. In Deutschland haben sich typische „Armutskarrieren“ etabliert: Die Eltern leben bereits seit Jahren von der Sozialhilfe, ihre Kinder wachsen in dieselbe Situation hinein. Wer Stütze bezieht, hat im Normalfall auch einen geringeren Schulabschluss. Mehr als die Hälfte aller Sozialhilfeempfänger hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Fatal ist, dass sich das bei den Kindern fortsetzt. Relativ häufig betroffen sind Kinder von Migranten, denen es oft schon an den nötigen Deutschkenntnissen fehlt. Mehr staatliche Transfers helfen hier nicht. Der Teufelskreislauf der vererbten Sozialhilfebiografien wird nur durchbrochen, wenn die Kinder mehr lernen als ihre Eltern. Nur dann haben sie auch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Dafür müssen sich in den Kindergärten und Schulen qualifizierte Kräfte um die Kinder kümmern. Aber auch den Eltern muss klar werden, dass ihren Kindern nur durch mehr Bildung der soziale Aufstieg gelingen wird.

Durch unseren Lebensstil, durch neue Freiheiten, ist eine weitere Gruppe von Armen entstanden. Die zwei Millionen Alleinerziehenden sind dreimal so häufig wie die Durchschnittsbevölkerung von Armut betroffen. Dieser Befund überrascht nicht: Nach der Trennung fällt es den Müttern (oder Vätern) schwer, gleichzeitig für den Lebensunterhalt zu sorgen und sich um das Kind zu kümmern. Finanzielle Schwierigkeiten sind da vorprogrammiert.

Die einfachste Antwort liegt darin, die ganztätige Kinderbetreuung auszubauen, in der Kita und der Schule: Wenn es der Mutter möglich ist, mehr als einekleine Teilzeitarbeit aufzunehmen, erledigen sich die finanziellen Probleme schnell. In den meisten Fällen scheitert die Erwerbstätigkeit nämlich nicht an der mangelnden Qualifikation.

Vom Armutsrisiko betroffen ist nach der Definition der Bundesregierung auch eine Studentin, die vorübergehend mit wenig Geld auskommen muss. Sie hat dafür nach dem Examen gute Chancen auf einen Job. Eine feste Arbeitsstelle ist in Deutschland immer noch die beste Garantie gegen Armut. Von amerikanischen Verhältnissen sind wir weit entfernt. Eine Klasse der „working poor“, die mehrere Jobs annehmen muss, um mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen, gibt es in Deutschland praktisch nicht.

Umverteilung muss auch weiter Bestandteil sozial gerechter Politik sein. Aussichtsreicher für die Bekämpfung der Armut ist es jedoch, wenn die Politik alles daran setzt, die Menschen beim Aufstieg zu unterstützen. Ein Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ist dafür die beste Voraussetzung.

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