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Politik verwalten - oder Politik gestalten? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an der Regierungsbank im Bundestag.

© dpa

Schlechte Wahlbeteiligung, Mitgliederschwund der Parteien: Politik muss gestalten - dazu gibt es keine Alternative

Die uns vertraute Welt ist aus den Fugen geraten. Die Politik scheint darauf nicht angemessen zu reagieren, Aufbruchstimmung gibt es nur abseits der rituellen Trampelpfade der Politikgestaltung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Haben die Deutschen von der Politik die Nase voll? Es gibt Indizien dafür, wie die schlechten Wahlbeteiligungen vor allem bei den Landtagswahlen. Auch der Mitgliederschwund bei den etablierten Parteien ist nicht gerade ein Beleg für eine lebendige Demokratie. Aufbruchstimmung gibt es nur abseits der rituellen Trampelpfade der Politikgestaltung immer dann, wenn das Wahlvolk etwas anderes will als „die da oben“. Bürgerbegehren mobilisieren die Massen.

Parteien, die bewusst anders sein wollen, wie vor wenigen Jahren die Piraten oder jetzt die AfD, haben erheblichen Zulauf, ob von Dauer, ist schwer zu sagen. Eine sich aus eher diffusem Unbehagen speisende Bewegung wie die "Pegida" verwirrt die Analysten. Ist jene Politik, deren Ausrichtung sich aus dem jeweiligen Wahlausgang ergibt, zu selbstzufrieden geworden? Hat sie sich die falschen Ziele gesteckt? Deckt sie vorhandene gesellschaftliche Konflikte mit einer trügerischen Konsenssauce zu? Ist die Merkelsche, einlullende Methode der Politikgestaltung durch Aufsaugen aller Themen der SPD und der Grünen am Ende schuld daran, dass die Sozialdemokratie sich anfühlt wie eine leere Hülle, während die CDU-Basis sich ihres Selbstverständnisses beraubt fühlt?

Einer hat versucht, dem Unbehagen Ausdruck zu verleihen. Hans-Peter Friedrich war Minister unter Angela Merkel. Wenn so einer sagt, der Kurs der Kanzlerin sei ein verheerender Fehler, schwäche und spalte das bürgerliche Lager, die von ihr geführte Partei ginge mit den Fragen der Identität von Volk und Nation leichtfertig um, dann müsste eigentlich ein politischer Sturm losbrechen. Stattdessen: leises Säuseln im parlamentarischen Umfeld, wenig Beifall für den vorwitzigen CSU-Recken, eilfertiges Bemühen, der Chefin Reverenz zu erweisen.

Ist das, was konservative Politiker wie Friedrich oder Wolfgang Bosbach als Verrat am bürgerlichen Lager empfinden, am Ende nichts weiter als Schmerz über einen Verlust, der schon länger eingetreten ist und an dem Merkel keine Schuld hat – außer der, den Paradigmenwechsel offen ausgesprochen zu haben? Ist unsere Gesellschaft längst anders, als die Bosbach und Friedrich glauben, ist "Pegida" das letzte Aufbegehren einer verlöschenden Zeit? Die Erklärung ist zu einfach. Die Globalisierung hat dieses Land viel tiefgreifender verändert, als sich die meisten eingestehen wollen. Die hilf- und erfolglosen Versuche Schweizer Konservativer, per Volksdekret Phänomene wie Kriegs- und Armutsmigration aus dem Land halten zu wollen, speisen sich aus dem gleichen verzweifelten Aufbegehren gegen etwas Unaufhaltbares wie die "Pegida"-Aufzüge in Dresden oder die restaurativen Vorstellungen der AfD. Die uns vertraute Welt ist aus den Fugen geraten.

Die Politiker, die wir gewählt haben, können aber im Gegensatz zu sektiererischen Randgruppen diese Wirklichkeit nicht ausblenden. Dennoch müssen sie damit aufhören, das jeweilige Regierungshandeln als alternativlos darzustellen. Wer nicht ertrinken will, muss schwimmen – das ist alternativlos. Aber es gibt eine andere Steuerpolitik als die jetzige. Es gibt Wege, den Sozialstaat durch Umverteilung zu stärken – oder das genaue Gegenteil zu tun. Man kann Kriegsflüchtlingen schneller eine Arbeitserlaubnis geben – oder abgelehnte Asylbewerber schneller in ihre Heimat zurückschicken. Man kann eine Energiepolitik unter Beibehaltung von Atomkraftwerken vertreten – oder noch mehr auf die Kohle setzen. Politik kann, muss, immer noch gestalten. Dazu gibt es keine Alternative.

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