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Meinung: Schleichende Irakisierung

Die Lage in Afghanistan eskaliert. Doch die guten Gründe für den Einsatz gelten weiter

Afghanistan gilt in Deutschland als Gegenmodell zu Irak, als der „richtige“ Militäreinsatz im Kampf gegen den Terror. In Afghanistan standen die Ausbildungslager Al Qaidas. Den Angriff einer internationalen Koalition zum Sturz der Taliban hatten die Vereinten Nationen 2001 abgesegnet. Nach 25 Jahren Bürgerkrieg und mittelalterlicher Diktatur bekäme das Land eine Chance zu Wiederaufbau und Demokratie. Die Bundesregierung investierte Energie und Kapital in begleitendes „Nation Building“ mit Milliardenhilfe aus aller Welt, den „Petersberg“-Prozess.

Praktisch alles, was am 2002 folgenden Irakkrieg der USA so falsch aussah, schien hier richtig: die Kriegsgründe, die völkerrechtliche Legitimation, die Erfolgsaussichten. Doch in jüngster Zeit ähneln die Meldungen aus Afghanistan immer mehr denen aus Irak. Die Bundeswehr hat Tote und Verwundete zu beklagen. Dabei sind die Deutschen noch im friedlichsten Teil des Landes im Einsatz, im Norden. Weit schlimmer ergeht es den Briten oder den Kanadiern, die im Talibangebiet Dienst tun. Sie sind mit einem organisierten Widerstand, mit Feuerüberfällen und Bombenanschlägen konfrontiert, wie man ihn aus den Sunnitengebieten im Irak kennt. Die Zentralregierung unter Präsident Karsai in Kabul hat nicht mehr Rückhalt in der Bevölkerung als die irakische Koalition in Bagdad. In mancher Hinsicht ist die Lage sogar schlimmer: Afghanistans Regierung hat einen kleineren Teil des Landes unter Kontrolle, die regionalen Warlords sind im Zweifel mächtiger als Iraks Milizenführer. Wird Afghanistan zu Deutschlands Irak?

Nein. Selbst eine schleichende Irakisierung Afghanistans ändert nichts an den guten Gründen, die die Bundesregierung deutsche Soldaten nach Afghanistan schicken ließ, nicht aber in den Irak. Doch bei solchen Einsätzen treffen die Soldaten auf Widerstände und Hindernisse, die sich nicht mit dem Hinweis überwinden lassen: Wir sind die Guten, wir kommen im Auftrag der UN.

Die große Mehrheit der Afghanen ist dankbar für den Sturz der Taliban – ähnliches gilt für den Sturz Saddams in Irak. Aber wo immer Diktatoren fallen, machen sich die Interventionsarmeen auch Feinde. Die Nutznießer der alten Ordnung wehren sich. Sie sind eine Minderheit, aber eine mächtige Minderheit mit Zugang zu Waffen. Und sie sind gut vernetzt.

In Kriegszeiten bilden sich zudem einträgliche Geschäftszweige heraus: Waffen- und Drogenschmuggel, Entführungen zur Gelderpressung, kostspieliger Personenschutz. Auch die Profiteure dieser Branchen sind natürliche Feinde einer Befriedung und Stabilisierung. Und würde die Bundeswehr konsequent gegen den Drogenanbau vorgehen – bisher tun das nur andere wie die Briten –, würde sie sich auch noch friedliche Bauern zu Feinden machen, die um ihren Lebensunterhalt fürchten. Doch das Drogengeld finanziert den Widerstand, muss also gestoppt werden. Moralisch und völkerrechtlich ist Afghanistan der richtige Krieg und Irak der falsche. Gemessen an den absehbaren Widerständen nach 25 Jahren Krieg und Diktatur durfte jedoch niemand glauben, dass Afghanistan der leichtere Einsatz würde.

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