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Schlossplatz: Sturm vor der Ruhe

Noch vor kurzem ernteten die Pläne für den Schloss-Neubau lauten Protest. Jetzt bekommt Berlin sein Humboldt-Forum, und keinen regt das noch auf - woran liegt das?

Es geschah eines abends vor nicht allzu langer Zeit bei einer Diskussionsveranstaltung in einer kleinen Berliner Buchhandlung. Zwischen Podium und Publikum wurde es laut und lauter. Welches das strittige Thema war, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Irgendwann wurde es dem Veranstalter zu bunt. Er griff sich ein Mikrofon, drehte voll auf und brüllte in den Raum: "Ruhe bitte, verdammt noch mal, Ruhe!" Die Szene hatte etwas Sonderbares: Jemand benutzt einen Stimmverstärker, um Stimmen zum Verstummen zu bringen.

Ähnlich sonderbar ist es, sich in einem Medium über öffentliche Aufgeregtheiten zu beklagen. Doch manchmal muss es sein. Berlin bekommt sein Schloss zurück. Das beschloss am Mittwoch das Bundeskabinett, einfach so. Natürlich darf das Gebäude offiziell nicht Schloss heißen, sondern muss Humboldt-Forum genannt werden. Aber das ist egal, wichtig ist die historische Fassade. An ihr wird sich der Volksmund orientieren. Und deshalb bekommt Berlin eben sein Schloss zurück.

Verblüffend an diesem Vorgang ist seine Selbstverständlichkeit. War da nicht mal was? Vor kurzem noch war gegen den Abriss des Palastes der Republik und gegen den Schloss-Neubau gekämpft, gezetert und gedichtet worden, dass die Feuilletons der Republik zu bersten drohten. Einige der klügsten Köpfe des Landes witterten wahlweise Verrat am guten Erbe der DDR oder Rückfall in vordemokratisch-monarchische Traditionen. Und heute? Plötzlich ist alles paletti. Kein Mensch regt sich mehr auf.

So ist es eigentlich immer in Deutschland. Nie hält die Realität den zuvor geschürten Ängsten stand. Man hört die Argumente, versteht aber das Pathos nicht ganz. Ob deutsche Einheit, fünfstellige Postleitzahlen, Ladenschluss-Liberalisierung, Rechtschreibreform, Holocaustmahnmal, Rauchverbot, Euro-Einführung, dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung: Die Gegner ringen entsetzt die Hände, rufen "Niemals", "Verderbnis" und "Undenkbar", beschwören die Apokalypse und sehen entweder die Kultur oder die Konjunktur in allergrößter Gefahr. Dann wird entschieden, und es kehrt automatisch Ruhe ein. Der Furor verpufft, die schlimmen Prognosen erweisen sich als maßlos übertrieben. Als wäre nichts gewesen.

Woran liegt das? Wenn die Deutschen vor einem Problem stehen, empfinden sie offenbar widersprüchlich: Irgendetwas muss passieren, aber es darf sich um Gottes willen nichts ändern. Änderungsaversion plus Hysterie plus Fantasiearmut sind die Kennzeichen der meisten Debatten. Für die große Koalition ist das eine gute Nachricht. Denn die Beispiele belegen, dass oft weit mehr an Veränderung gesellschaftlich möglich ist, als es scheint. Mehr Mut wird belohnt, Widerstand bricht nach einer Entscheidung schnell zusammen. Also nichts wie ran: Buchpreisbindung aufheben, schwarz-grüne Koalitionen schmieden, interaktive Gewaltvideos verbieten und embryonale Stammzellforschung erlauben! Wetten, es geht?

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