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Meinung: Schöne Rolle vorwärts

Das Turnfest war eine Ausstellung des Wandels: weg von den Mattenübungen, hin zur Fitness

Das Deutsche Turnfest hat sich wieder eine Woche lang als Großversammlung gut gelaunter und aktiver Menschen präsentiert. Die Faszination lag auch diesmal in der Schönheit der Normalität. Wo sonst schauen sich bis zu tausend Menschen andere Sportler bei ganz gewöhnlichen Übungen und Vorführungen mit geringem körperlichen Aufwand an? Und wo sonst jubeln sie ihnen dafür auch noch zu?

Das Turnfest wirkt mit diesem Wohlwollen und Gemeinschaftsgefühl wie die weltliche Schwester des Evangelischen Kirchentags. Die Teilnehmer haben jedenfalls einiges gemeinsam. Wie in der evangelischen Kirche gibt es in der Turnbewegung ein Nord-Süd- und ein Ost-West-Gefälle. Am stärksten ist der Südwesten, 20 000 der 100 000 Teilnehmer des Turnfests kamen aus Baden-Württemberg nach Berlin. Das mag etwas mit Tradition zu tun haben und der Bindekraft der schwäbischen und badischen Turnvereine. Ein Zufall kann es aber nicht sein, dass die Turnbewegung gerade dort stark ist, wo es den Menschen gut geht.

Das Turnfest ist eine Veranstaltung der Mittelschicht. Die Turnbewegung erfüllt etwa den bürgerlichen Wunsch nach biographischer Rundung. Beim Kinderturnen kann man anfangen und später beim Seniorenturnen weitermachen. Während Fußballklubs bunt gemischt sind, finden sich beim Turnen weit weniger Kinder von Migranten. Das sollte die Turnbewegung jedoch nicht abqualifizieren. Eine Zeitlang schien es so, als ob nur der Sport wertvoll sei, der straffällig gewordene Jugendliche zurück auf den rechten Weg führe. Von diesem Anspruch hat sich der Sport jedoch verabschiedet, seitdem ihm die Wissenschaft eine deutlich geringere soziale Kompetenz nachgewiesen hat als bisher angenommen.

Die Turnbewegung hat sich in den vergangenen Jahren andere Verdienste erworben. Es ist der Wandel der Vereine von schlecht belüfteten Orten langweiliger Mattenübungen in Zentren vielseitiger Bewegungsangebote. Es sind die Turnvereine, die ihren Mitgliedern Fitness- und Wellnessangebote machen, die eine ernste Konkurrenz für die kommerziellen Studios darstellen. Gerade bei anspruchsvolleren Zielgruppen wie Kindern und Senioren haben die Vereine mit ihrer größeren persönlichen Nähe ihren Vorsprung auf die Studios sogar ausgebaut.

Das Turnfest war eine große Ausstellung dieses Wandels. Auf der Turnfest-Akademie haben sich tausende Übungsleiter und Mitglieder angeschaut, wie sie in ihren Vereinen das Angebot verbessern können und zusätzliche Mitglieder gewinnen. Inzwischen sind es 5,1 Millionen Menschen, die in Deutschland bei einem Turnverein angemeldet sind. Das Lamento fällt daher auch sehr leise aus, dass etwa die deutschen Frauen im Geräteturnen weit weg von der internationalen Spitze sind und bei den Männern nur der 17 Jahre alte Fabian Hambüchen mit den besten der Welt mithalten kann. Der disziplinierte Leistungssport mag Motivation für die Masse sein und wirkt doch ein bisschen fremd in der breitensportlichen Fröhlichkeit des Turnfestes. Die Turnfestteilnehmer brauchen keine Spitzenleistung, um sich für Sport zu begeistern.

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