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Meinung: Schöner Schein und schweres Sein

Die EU hat in Kopenhagen historische Weichen für die Zukunft gestellt – aber keine Probleme gelöst

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Am Schluss ging es um ein paar hundert Millionen Euro. Das war die Summe, um die auf dem Kopenhagener EU-Gipfel noch gefeilscht wurde – zwischen den fünfzehn alten und den zehn neuen EU-Staaten. Informell ging es vor allem um eine Einigung zwischen Deutschland und Polen. Den deutschen Steuerzahler mögen die Zahlen auf den ersten Blick erschrecken, aber es ist doch so: Gemessen am milliardenschweren Gesamthaushalt der EU ist die Summe, die am Ende noch draufgelegt wurde und die zu einem Viertel auch auf den deutschen Haushalt durchschlagen wird, noch zu verkraften. Angesichts der historischen Möglichkeit von Kopenhagen gab es am Ende auch für Kanzler Gerhard Schröder und Polens Regierungschef Leszek Miller kein Vertun. Der in der dänischen Hauptstadt besiegelte Finanz-Kompromiss, der die Erweiterung der EU möglich macht, ist für beide Seiten tragbar – für den deutschen Steuerzahler und für Polens Bauern. Die Probleme der EU werden dadurch nicht gelöst. Zu den ungelösten gehört die Türkei.

Natürlich stellt der 13. Dezember 2002, an dem der Abschluss mit den zehn Beitrittskandidaten gelang, ein historisches Datum dar. Also hat Schröder, ein bisschen wie Helmut Kohl, ein Stück vom Mantel der Geschichte zu fassen bekommen. In Kopenhagen flossen auch ein paar hoch symbolische Freudentränen, gerade auf polnischer Seite. Denn der 13. Dezember ist auch noch ausgerechnet der Tag, an dem in Warschau vor 21 Jahren das Kriegsrecht ausgerufen wurde – einer der schwärzesten Momente im Kalten Krieg. Die Ost-Westteilung scheint überwunden. In die Freude darüber mischen sich aber Bedenken, gerade, wenn man auf die immer unübersichtlicheren EU-Familienfotos schaut, die die gewaltige Größe Europas abbilden.

Dass die EU vor allem auch ein riesiger Basar ist, haben längst alle Länder mitbekommen, die gerade ihren Eintritt verhandelt haben oder noch draußen vor der Tür stehen wie die Türkei. Die Vertreter Ankaras haben in Kopenhagen bloß den lauten orientalischen Basar mit dem üblichen Brüsseler Kuhhandel verwechselt, der in der Regel etwas diskreter abläuft. Vielleicht auch deshalb holte sich die Türkei auf dem EU-Gipfel eine Abfuhr. Polens Premier Miller verhandelte in Kopenhagen ebenso zäh, aber zivilisierter.

Für die Zukunft der EU bedeutet diese erste konkrete Verhandlungs-Erfahrung im Kreis von 25 Ländern noch nicht viel. Der eigentliche Finanz-Poker steht nämlich erst noch bevor – und zwar in der Zeit nach 2004. Wenn die EU bis dahin sowohl bei deutschen Steuerzahlern als auch bei polnischen Bauern den Rest ihrer Glaubwürdigkeit erhalten will, muss endlich geschehen, was überall in Europa gebetsmühlenartig gefordert wird: Die Reform von Europas Institutionen, einfachere Regeln bei der Entscheidungsfindung innerhalb der EU und die weit gehende Abschaffung des Vetorechts einzelner Staaten.

Bleibt das Türkei-Problem. Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe hat ja Recht, wenn er seinen Parteifreund Roland Koch indirekt davor warnt, aus der ungelösten Beitritts-Frage bei den Landtagswahlen in Hessen Kapital zu schlagen. So gesehen, ist es aber nie die rechte Zeit für eine offene Diskussion über die Beitrittsfähigkeit Ankaras. Mal müssen die Beitritte der zehn neuen EU-Staaten ratifiziert werden, mal sind Europawahlen, und dann soll sich die EU unbehelligt auf ihre eigene Reform konzentrieren. Doch so geht es nicht. Die Türkei ist d i e politische Gretchenfrage für die Europäische Union.

Derzeit spricht einiges dafür, dass die EU am Ende des Jahres 2004, wenn das nächste Rendezvous mit Ankara vorgesehen ist, wieder genauso überrascht und unvorbereitet in die Türkei-Debatte hineinstolpert, wie es gerade geschehen ist. Bis Ende 2004 muss die EU sich ehrlich machen, ob sie die Türkei wirklich will oder nicht. Eine Lösung des Zypern-Konfliktes und gute Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Ankara und Athen würden der EU ihre Entscheidung schon einmal erleichtern. Aber seit dem Gipfel von Kopenhagen zeichnet sich verstärkt auch die künftige militärische Natur der EU ab. Mazedonien und Bosnien-Herzegowina könnten zu Einsatzgebieten der geplanten neuen EU-Truppe werden. Wenn die EU künftig mit Hilfe der Nato ihre eigene Friedenssicherung in Europa übernimmt, dann ist das eher ein Argument für das Nato-Mitglied Türkei - und nicht gegen sie.

Albrecht Meie

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