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Meinung: Schröders Bilanz: Er hat es in der Hand

Vor der Bundestagswahl 2002 wagt Gerhard Schröder keine Experimente mehr. Ob Steuerreform, Rentenreform oder Zuwanderung: Die zentralen Vorhaben der rot-grünen Koalition sind abgearbeitet oder zumindest auf gutem Weg.

Vor der Bundestagswahl 2002 wagt Gerhard Schröder keine Experimente mehr. Ob Steuerreform, Rentenreform oder Zuwanderung: Die zentralen Vorhaben der rot-grünen Koalition sind abgearbeitet oder zumindest auf gutem Weg. Jetzt räumt der Bundeskanzler seinen Schreibtisch auf für den Wahlkampf, der nach der Sommerpause langsam beginnt. Für neue Projekte ist da kein Platz. Schon gar nicht für Entscheidungen, die unbequeme Wahrheiten enthalten.

"Bilanz und Ausblick" hat Schröder seine Pressekonferenz überschrieben, mit der er sich von Berlin in den Sommerurlaub verabschiedet hat. Für die Bilanz der vergangenen zwei Jahre fand der Kanzler viele Worte. Doch der Ausblick? Da ist genauso viel Schweigen. Schröder, der 1998 mit der Forderung antrat, die Ärmel hochzukrempeln, meint offenkundig, fürs Erste habe er genug getan. "Politik der ruhigen Hand" nennt er das und lobt dieses "Weiter so" als neue politische Linie der Koalition. Reicht das aus, um Rot-Grün gegen eine zerstrittene Opposition wieder zum Wahlsieg zu führen?

Hoffentlich nicht. Die deutsche Wirtschaft stagniert. Die Wachstumsraten, mit denen sich der Kanzler im vergangenen Sommer noch brüsten konnte, gehören der Vergangenheit an. Deutschland ist weit davon entfernt, in Europa die Konjunkturlokomotive zu werden, die wieder Schwung in die Wirtschaft bringt. Im Gegenteil: Trotz der Reformen, die Schröder zu Recht als Erfolg seiner Regierungszeit rühmt, stagniert mit dem Aufschwung auch der Abbau der Arbeitslosigkeit. Schröder selbst scheint nicht mehr daran zu glauben, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen senken zu können. Die Stimmung kippt. Und je häufiger Hiobsmeldungen aus der Wirtschaft kommen, desto schwieriger wird es für Schröder.

Die Lage sei besser als die Stimmung, meint der Kanzler und begründet so sein Warten auf bessere Zeiten. Nein, es ist umgekehrt: Die Stimmung des Kanzlers ist besser als die Lage im Land. Schröder ist trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten politisch nach wie vor in einer unangefochtenen Position. Sein rot-grünes Regierungsbündnis funktioniert nach Startschwierigkeiten geräuschlos. SPD-Fraktionschef Peter Struck organisiert Schröder gemeinsam mit SPD-Generalsekretär Franz Müntefering die Mehrheiten. Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier steuert die Regierungsgeschäfte. Außenminister Joschka Fischer und Fraktionschef Rezzo Schlauch sorgen dafür, dass die Grünen ein pflegeleichter Partner bleiben. Die zerstrittene konservative Opposition ist in so desolatem Zustand, dass sie Schröder nicht gefährlich wird. Die FDP steht bereit und würde lieber heute als morgen den Platz als Schröders Junior einnehmen. Mit dem rot-roten Testlauf von SPD und PDS in Berlin baut sich der Kanzler eine weitere Option für die Zukunft auf. Mehrheiten gegen ihn sind nicht in Sicht - kein Wunder, dass die Stimmung gut ist.

Weil er politisch so stark und unangefochten ist, wird seine Politik nun aber schlecht. Schröder, scheint es, braucht Druck, um zu handeln. Ist der Rahmen, den die rot-grüne Regierung in den vergangenen Jahren mit ihren Reformen gesetzt hat, wirklich schon so stabil, dass die Deutschen nur noch warten müssen, bis die Weltkonjunktur wieder anspringt? Die Regierung lehnt es ab, die Steuerreform vorzuziehen, um der deutschen Wirtschaft neuen Schwung zu geben. Er könne Politik nicht auf Hoffnungen gründen, sagt Schröder. Dabei macht er mit seiner Politik der ruhigen Hand genau das - was ist Abwarten anderes? Den überregulierten Arbeitsmarkt will der Kanzler nicht im Interesse der Arbeitslosen knacken. Keine Verhältnisse wie in den USA, warnt Schröder. Als fänden sich zwischen dem US-Modell und den starren deutschen Regelungen nicht Mittel, die lange beklagten Verkrustungen aufzubrechen.

Es gibt noch eine Menge zu tun. Der Reformstau in Deutschland ist nicht aufgelöst, Rot-Grün hat gerade mal angefangen. Es ist viel zu früh, sich zurückzulehnen. Statt mit ruhiger Hand den nächsten Wahltag abzuwarten, sollte Schröder mit fester Hand den Kurs fortsetzen, den er vor zwei Jahren erfolgreich begonnen hat.

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