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Meinung: Schröders Wirtschaft: Mehr als nur Pech

Vielleicht helfen die Ölscheichs dem Kanzler. Der Preis für das Schmiermittel der Industriegesellschaften sinkt zurzeit kräftig, und prompt fällt auch die deutsche Inflationsrate.

Vielleicht helfen die Ölscheichs dem Kanzler. Der Preis für das Schmiermittel der Industriegesellschaften sinkt zurzeit kräftig, und prompt fällt auch die deutsche Inflationsrate. Nachdem im Mai die Preise noch um 3,5 Prozent gestiegen waren, haben die Statistiker für den Juni eine vorläufige Rate von 3,1 Prozent ermittelt. Wenn der Höhepunkt der Geldentwertung überschritten ist, und diesen Schluss lassen die Zahlen zu, dann bekommt die Europäische Zentralbank wieder größeren Handlungsspielraum: in den nächsten Wochen eine Zinssenkung, um mit billigerem Geld die schwächelnde Konjunktur zu stimulieren - vielleicht rettet das Gerhard Schröder vor dem CDU-Etikett "Kanzler des Abschwungs".

Schröders Wirtschaftsminister glaubt daran sowieso nicht. Eine Rezession in Sicht? Für Werner Müller "Quatsch". Wie es sich für einen Wirtschaftsminister gehört, macht er auf Optimismus und hält stoisch ein Wachstum von zwei Prozent in diesem Jahr für möglich. Das ist allerdings auch Quatsch, denn die jüngsten Prognosen liegen zwischen 1,3 und 1,7 Prozent. Damit die Arbeitslosigkeit sinkt, müsste die Wirtschaft aber um mindestens 2,5 Prozent wachsen. Deshalb gehen Schröders Chancen, die Arbeitslosenzahl im Wahljahr auf die Zielmarke von 3,5 Millionen zu drücken, gegen Null. Oder die Regierung trickst ein wenig mit der Statistik beziehungsweise steckt noch schnell ein paar hunderttausend Arbeitslose in ABM oder Ähnliches.

Eine rein theoretische Möglichkeit. In Wirklichkeit haben weder der Finanzminister noch die Bundesanstalt für Arbeit zusätzliche Mittel für den Arbeitsmarkt parat. Im Gegenteil. Ursprünglich hatte es sich die Regierung so schön ausgedacht, im kommenden Jahr mit einer Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung die Stimmung im Wahlvolk zu heben. Doch dann kam die Krise der New Economy, die US-Wirtschaft brach ein, und die Kraftstoffpreise zogen an. In der Folge wächst die Wirtschaft langsamer, der Finanzminister kassiert weniger Steuern, die Arbeitsämter müssen mehr ausgeben, die Sozialkassen nehmen aber gleichzeitig weniger Beiträge ein.

Und das ist fast noch dramatischer für Schröder als das verpasste Arbeitslosenziel: Die Krankenkassenbeiträge steigen und Renten- sowie Arbeitslosenversicherung können nicht gesenkt werden. Damit verfehlt die Bundesregierung das Ziel, die Abgabenlast in dieser Legislaturperiode auf unter 40 Prozent zu drücken; derzeit sind es 40,8 Prozent, nach der Erhöhung der Krankenkassenbeiträge mehr als 41 Prozent.

Die Enttäuschung bei Arbeitnehmern wie Arbeitgebern, denen das Geld abgeknöpft wird, ist groß, die Stimmung in der Wirtschaft derzeit so schlecht wie seit zwei Jahren nicht mehr. Dass die Bundesregierung behauptet, die 40 Prozent seien noch immer erreichbar, glaubt kein Mensch. Oder kann Schröder zaubern?

Der Regierungschef bekommt jetzt die Quittung für das Zaudern im Umgang mit den Sozialsystemen. Am ehesten hat noch die Rentenreform funktioniert - aber auch die stabilisiert nur die Beiträge, die im Übrigen durch die Einnahmen aus der Ökosteuer subventioniert werden müssen. Auf dem Arbeitsmarkt tut sich nicht viel, wenngleich nach dem Kanzler-Spruch über die Faulheit eine Debatte über zielgenauere Arbeitsförderung anhob und Arbeitsminister Walter Riester ein paar Veränderungen ankündigte.

Ein großer Wurf ist das nicht - das hätte es werden können, wenn Riester die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialversicherung und die damit einhergehende intensivere Betreuung der Betroffenen nicht auf die nächste Legislaturperiode verschoben hätte. Überhaupt nicht erkennbar sind positive Effekte in der Gesundheitspolitik. Dieses Politikfeld ist stark vermint, keine Frage, und wohl auch zu kompliziert, als dass sich der Kanzler selbst besonders dafür interessierte. Das war ein Fehler. Mit Arbeitslosigkeit und Abgabenlast zwei Zielmarken verfehlt - Schröder steht vor einem schwierigen Wahlkampf.

Mehr zum Thema im Tagesspiegel: Lohnnebenkosten belasten Rot-Grün Hoffnung auf sinkende Zinsen wächst

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