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Schulbücher: Aufgeklärter Schavanismus

Von Vielfalt und Unsinn: Gegen die Vereinheitlichung von Schulbüchern spricht nichts von Gewicht - der Vorstoß von Bildungsministerin Schavan ist vielmehr überfällig.

Von Robert Birnbaum

Auch mit der Vereinheitlichung der Schrauben hat es anno dazumal gedauert. Erst 1918 legte die erste Deutsche Industrie-Norm, kurz DIN, einheitliche Standards für Geräteteile fest. Bis dahin hatte jeder Hersteller seine Schrauben nach eigenem Gutdünken fabriziert, was die Reparatur einer Mannheimer Dampfmaschine in Berlin zur Herausforderung machte. Dieser Schraubenföderalismus wurde Anfang des vorigen Jahrhunderts für sinnlos befunden und beendet. Der Bildungsföderalismus hat die Jahrtausendwende überlebt. Aber so nach und nach fällt auch hier manchem auf, dass Vielfalt zu Unsinn führen kann.

Man muss der Bundesbildungsministerin Anette Schavan deshalb dankbar sein für ihre jüngste Kompetenzüberschreitung. Denn das ist es strenggenommen, wenn Schavan sich jetzt beispielsweise für einheitliche Schulbücher in ganz Deutschland ausspricht oder auf Umsetzung einheitlicher Standards für Lehrpläne dringt. Ihr Ministerium trägt zwar „Bildung und Forschung“ im Titel. Seit der Föderalismusreform umfasst „Bildung“ aber nur noch ein sehr enges Feld. Schavans SPD-Vorgängerin Edelgard Bulmahn hat erleben müssen, mit welch eifersüchtigem Elan die Länder sich unerbetene Initiativen aus Berlin verbitten.

Nun war Bulmahn damals der Sack, der die Prügel abbekam, die dem Esel galten. Die CDU-Länderfürsten machten Front gegen den SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Unter der CDU-Kanzlerin dürfte zumindest der Tonfall moderater ausfallen. Auch hat CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen mit ihrem Krippenprogramm vorgemacht, wie man sich mit Cleverness, Geldversprechen und Angela Merkels Rückendeckung erfolgreich in Länderdinge einmischt.

Schavans Vorstoß hat mit dem der Kabinettskollegin gemeinsam, dass er erstens vernünftig und zweitens überfällig ist. Vernünftig ist – um bei diesem griffigsten Beispiel aus dem Ideenkatalog der Ministerin zu bleiben – die Einführung einheitlicher Schulbücher schon deshalb, damit nicht jeder Umzug von einem Bundesland ins andere für Schulkinder zum totalen Bildungsstress wird. Schulbücher nach DIN wären ein vermeidbarer Stressfaktor weniger. Gegen die Vereinheitlichung spricht nichts von Gewicht. Für Bruchrechnung, englische Grammatik und Relativitätstheorie gelten in Berlin und München die gleichen Regeln. Aber auch in „weichen“ Fächern wie Geschichte oder Sozialkunde, um deren Themenkataloge immer noch einmal ideologische Kleingefechte stattfinden, sollten zumindest für die unteren Klassenstufen Einheitsbücher möglich sein.

Die Frage müsste eher heißen: Warum gibt es das nicht längst? Warum sind Lehrer und Schüler auch sonst so ungefähr die letzten „Berufsgruppen“ außer Bergführern und Krabbenfischern, deren Mobilität in Deutschland an Kleinstaatengrenzen endet? Die althergebrachte Antwort lautete: weil die Schulen im christsozial regierten Bayern besser sind und bleiben sollen als die im sozialdemokratisch geprägten Nordrhein-Westfalen.

Aber dem Argument liegt der gleiche Irrtum zugrunde, der die Normung der Schrauben schon verzögert hat. Mag ja sein, die Mannheimer Dampfmaschinenschrauben waren sogar etwas besser als der schnöde Schraubbolzen nach DIN. Aber für die aufstrebende Maschinenbau-Nation überwogen die Nachteile des Unikats seine kleinen Vorteile. Falls Deutschland ernsthaft eine aufstrebende Bildungsnation werden will, täte es gut daran, sich diese Sache mit den Schrauben noch einmal genau anzuschauen.

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