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Meinung: Schuld an den Schulden

Die rot-grüne Regierung warnt vor einer Deflation – und forciert sie

In der Nacht vom 22. auf den 23. September 2002 ist etwas Sonderbares passiert. Die wieder gewählte Regierung Schröder/Fischer wandelte sich binnen weniger Stunden von einer Truppe verschworener Sparpolitiker zu einem Gremium besorgter Makroökonomen. Vor der Wahl hieß es, die Staatsfinanzen müssten konsolidiert werden: damit die Politik mehr Gestaltungsspielraum bekommt und die Schulden von heute die Generationen von morgen nicht erdrücken. Heute dagegen argumentieren Sozialdemokraten und Grüne, dass dem Land eine Deflation drohe und die soziale Gerechtigkeit in großer Gefahr sei. Deshalb sei Sparen Teufelszeug. Höhere Ausgaben werden dem staunenden Wähler dagegen als das richtige Rezept verkauft.

Das Schlimme ist, dass die Regierung Recht hat. Nur: Sie hatte vor der Wahl Recht, und jetzt hat sie auch Recht. Sie macht den Fehler, dass sie das Eine tun und das Andere lassen will. Sie muss beides tun. Und zwar schnell. Sie muss weiter sparen. Nicht nur, um den Stabilitätspakt einzuhalten, sondern vor allem, um das Versprechen der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit einzuhalten. Es dürfen keine neuen Lasten auf die Zukunft geladen werden. Deshalb muss die Regierung alles daran setzen, die Deflationsgefahr zu vermindern. Deshalb muss sie das Wachstum ankurbeln.

Ein Widerspruch? Es ist nur dann einer, wenn die Politik sich und ihren Bürgern eine wirkliche Ära der Reformen nicht zutraut. Viele Indizien sprechen dafür, dass die Bundesregierung ihre offen zur Schau gestellte Abkehr von den bisherigen Prinzipien der Wirtschafts- und Finanzpolitik aus mangelndem Vertrauen heraus begründet. Sonst würde sie jetzt bei Unternehmen und Verbrauchern um Zustimmung für einschneidende Reformen und Zumutungen werben, anstatt beide Gruppen rüde vor den Kopf zu stoßen. Sie würde Subventionen streichen, anstatt Steuern zu erhöhen. Sie würde den Staatsverbrauch senken, anstatt mehr Geld für den öffentlichen Dienst einzutreiben. Sie würde das Konsumklima stützen, anstatt es durch wirre Meldungen über Schnittblumen- und Katzenfuttersteuern weiter zu belasten. Sie würde die Arbeitsmarktreformen schnell umsetzen, anstatt sie sich von den Gewerkschaften zerreden zu lassen.

Stattdessen manövriert sie das Land mit ihrer Steuer- und Abgabenpolitik an den Rand der Deflation. Verbraucher und Unternehmen sind verunsichert und halten sich bei Konsum und Investitionen so stark zurück wie nie zuvor. Die Käufer geben ihr Geld nicht mehr aus, die Unternehmen müssen die Preise senken – trotz steigender Steuern. Bröckeln die Preise auf breiter Front und über einen längeren Zeitraum, gehen Tausende Arbeitsplätze verloren und sinkt der Lebensstandard der Menschen. Um die Kosten in den Griff zu bekommen, kürzen die Unternehmen die Löhne und entlassen Mitarbeiter. Die steigende Arbeitslosigkeit wiederum schwächt die Nachfrage erneut, und wieder reagieren die Firmen mit Entlassungen. Oder sie rutschen gleich in die Pleite. Das bringt die Banken in die Bredouille: Sie bleiben auf Krediten sitzen. Um nicht selbst in eine Schieflage zu geraten, werden sie beim Verleihen von Geld vorsichtiger – und bremsen so Investitionen und Innovationen.

Eine Deflation aber ist das Schlimmste, was einer Volkswirtschaft passieren kann. Nur eine Regierung, die die Kraft findet, zu konsolidieren und zu reformieren, kann in dieser Situation eine gute Wirtschaftspolitik machen. Die Regierung muss ihren eigenen Konsum bremsen. Sie muss weiter investieren. Sie muss ihren Bürgern und Unternehmen Geld zum Ausgeben und Investieren lassen. Das wäre wirkliche Makroökonomie – statt kleinmütiger Mikropolitik.

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