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Die nächsten drei Wochen entscheiden, ob Europa der Befreiungsschlag gelingt oder ob es einen Rückfall in die Kleinstaaterei gibt.

© dpa

Schuldenkrise: Europa muss sich reformieren - jetzt!

Die Regierungschefs in Europa müssen grundlegende Reformen beschließen, um der Krise Herr zu werden. Dafür bleiben nur noch wenige Wochen, sonst droht ein Rückfall in die alte Kleinstaaterei. Das würde Europa um Jahrzehnte zurückwerfen.

Ob sich wirklich aus der Geschichte lernen lässt, kann bezweifelt werden. Bei Europas aktueller Krise finden sich jedenfalls unterschiedlichste historische Bezüge, je nach politischer Haltung. Wer gegen das Sparen argumentiert, kann das mit Heinrich Brüning und der Weimarer Republik tun. Widerspruch zwecklos, zu groß ist das Verderben, das danach kam. So verstandene Austerität kann wirklich niemand wollen, und wer wäre schon gegen Wachstum?

Vielleicht lohnt trotzdem ein Blick in die jüngere Geschichte. Als sich im Sommer vor vier Jahren in den USA eine bedrohliche Lage zusammenbraute, passierte zunächst – nichts. Millionen von Familien hatten sich überschuldet, um, von der Politik ermutigt, den amerikanischen Traum vom Eigenheim zu leben, und die Banken hatten die faulen Kredite munter weiterverhökert. Der Finanzkrise fehlte noch der Auslöser, und der kam dann in Gestalt einer kleinen New Yorker Bank, die bis dahin nur Experten kannten.

Lernen lässt sich aus der Lehman-Pleite zweierlei: Zum einen reicht ein kleines Ereignis für das Verderben. Denn damals folgte die größte globale Rezession seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Auch in Europa reicht jetzt wahrscheinlich ein kleiner Schock, um den Euro auseinanderbrechen zu lassen und die Wirtschaft aus den Fugen zu bringen. Schon jetzt herrscht extreme Vorsicht, die Banken leihen sich untereinander kein Geld. Sei es die Wahl in Griechenland am kommenden Wochenende, ein neues Problem in Spanien oder die Pleite einer europäischen Bank – die Euro-Krise kann jederzeit explodieren.

Tagesspiegel-Meinungschef Male Lehming zu Merkels Euro-Strategie:

Die zweite Lehre aus der Lehman- Pleite ist noch bedrohlicher: Offenbar braucht es solche Schocks, damit überhaupt Konsequenzen gezogen werden. Denn im Herbst 2008 fanden sich die großen Industrienationen und die wichtigsten Schwellenländer, die G 20, plötzlich in nie gekannter Einigkeit zusammen, um die Finanzmärkte schärferen Regeln zu unterwerfen und die Weltwirtschaft zu stabilisieren. Zwar blieb von diesem Aufbruch erschreckend wenig übrig, aber doch viel mehr, als man vor der Lehman-Pleite für möglich gehalten hätte.

Um Schaden von der Währung, der Wirtschaft und damit den Menschen abzuwenden, muss nun ein eigentlich unwahrscheinliches Szenario Realität werden: Die Regierenden der 27 EU-Staaten müssen sich binnen der nächsten Wochen einig werden, dass nur grundlegende Reformen die Vertrauenskrise beenden können – und sie müssen das tun, ohne dass ein Schock sie in diese Richtung drängte. Bisher haben sie wenig Anlass gegeben, Hoffnung in sie zu setzen. Die Schwäche Griechenlands, eigentlich ein Problemchen an der Peripherie, haben sie verschleppt und bis heute nicht gelöst. Aber ermutigend ist, dass sie jetzt eine echte Fiskalunion erörtern. Die nächsten zwei, drei Wochen sind entscheidend.

In Deutschland wollen sich Regierung und Opposition über ihren Europakurs verständigen, in Griechenland wird gewählt, die G 20 tagen, dann die Staats- und Regierungschefs der EU. Man sollte das nicht überhöhen, eigentlich wird die Hoffnung auf den großen Wurf nie erfüllt. Und doch: Es geht darum, ob die komplexe europäische Demokratie Zukunft hat, politisch und wirtschaftlich. Ein Rückfall in Kleinstaaterei würde den Kontinent weit zurückwerfen. Aus dem Aufstieg Europas in den vergangenen 50, 60 Jahren ließe sich so viel lernen. Hoffentlich kommt die Einsicht, wie sich die EU besser organisieren kann – und dass sie es muss! –, nicht zu spät.

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