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Schule fürs Leben: Ein geschenkter Schulabschluss ist nichts wert

Harald Martenstein macht sich Sorgen um das deutsche Bildungswesen, wertlose Abschlüsse und moderne Wolfskinder, die in der Schule statt zu Hause erzogen werden.

Auf der Abiturfeier meines Sohnes sprach ich mit einem alten Lehrer. Die meisten Schüler mögen ihn sehr. Er gilt als streng, aber gerecht. Diese Sorte Lehrer kommt offenbar am besten an, das war schon zu meiner Zeit so. Der Lehrer sagte, dass es in seinem Fach früher die Note „Eins“ bei null Fehlern gegeben habe. Jetzt sei verfügt worden, dass es schon bei zwei Fehlern die „Eins“ gibt. Man will es den Schülern leichter machen. Er findet das falsch.

Im Englischen gibt es das Sprichwort: There is no such thing as a free lunch. Auf Deutsch: Man kriegt nichts geschenkt, auch wenn es manchmal so aussieht. Wer es im Leben irgendwann einmal leicht haben möchte, der muss sich erst einmal daran gewöhnen, sich anzustrengen, es sich also schwer zu machen. Wenn die Schule den Kindern das Gefühl vermittelt, man müsse sich nicht anstrengen, um etwas zu erreichen, dann macht sie etwas Grundsätzliches falsch. Aus einem geschenkten Erfolg lernt man gar nichts. Misserfolge können sehr lehrreich sein.

Nun sollen fast überall die Hauptschulen abgeschafft werden. Das vielleicht größte Problem der Hauptschulen besteht darin, dass sie es in den letzten Jahren massenhaft mit einem neuen Typus von Schülern zu tun bekommen haben. Diese Kinder wurden von ihren Eltern sich selbst, dem Fernseher und dem Computer überlassen. Überbehütende Eltern mögen schlimm sein, unterbehütende sind schlimmer. Sie verlangen nichts und sie geben auch nichts, nicht einmal ein Frühstück. Das Ergebnis sind Sechsjährige, die oft auf dem Entwicklungsstand von Dreijährigen sind.

Um aufzuholen, bräuchten diese Kinder eine besondere Schule, die ihnen das gibt, was die Eltern ihnen nicht gegeben haben. Solche Schulen sind politisch nicht durchsetzbar, weil sie als diskriminierend gelten. Ich kann das nicht begreifen. Wenn ein Kind aus schwierigsten Verhältnissen, über besondere Förderwege, am Ende in der Lage ist, das Abitur zu bestehen, dann wird man diesen Menschen nicht verachten, sondern den größten Respekt vor ihm haben. Es ist natürlich leichter, ein Handicap zu leugnen, als es zu überwinden. Deshalb werden wir, fürchte ich, immer mehr Schulen bekommen, die mit geringem Aufwand fast jeden zu irgendeinem wohlklingenden Abschluss führen, der zu nichts nütze ist. Aber für die modernen Wolfskinder werden auch diese Schulen noch zu schwierig sein.

In Hamburg soll jetzt der Schreibunterricht vereinfacht werden. Statt der Druckschrift, zum Bücherlesen, und der Schreibschrift, zum Schreiben, sollen die Kinder in Zukunft nur noch eine einzige, simple „Grundschrift“ lernen. Wieder einmal macht man ihnen die Schule einfacher und das anschließende Leben schwerer. There is no such thing as a free lunch.

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