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Schwarz-Gelb: Koalition der Provokation

Nach dem Krisengespräch versichern die Koalitionsspitzen mal wieder man wolle nun endlich konkret und konstruktiv werden. Doch Angela Merkels bewusst zur Schau getragene Verweigerung einer Sozialstaatsdebatte ist eine Provokation und zugleich eine Eskalation im Beziehungsstreit von CDU/CSU und FDP.

Selbstverständliches sollte selbstverständlich bleiben, hat Angela Merkel gerade gesagt. Die Forderung Guido Westerwelles – wer mehr arbeite, müsse mehr bekommen als der, der nicht arbeite – sei kein Tabubruch, sondern eine Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich hat die Kanzlerin ihrem Koalitionspartner das öffentlich per Interview mitgeteilt, und die Republik wusste es, bevor die schwarz-gelben Parteichefs zum Krisengespräch zusammenkamen. Merkels gleichzeitig bewusst zur Schau getragene Verweigerung einer Sozialstaatsdebatte ist selbstverständlich auch Provokation und zugleich eine Eskalation im Beziehungsstreit von CDU/CSU und FDP.

Die Koalitionsspitzen versichern mal wieder, nach dem Krisengespräch wolle man nun endlich konkret und konstruktiv werden. Eher ist aber zu befürchten, dass Schwarz-Gelb auch in Zukunft und über den Wahltag in Nordrhein-Westfalen hinaus versucht, sich gegenseitig für das zunehmend zerrüttete Verhältnis verantwortlich zu machen. Diesen Dauerstreit in einer Regierung werden die Wähler nicht als konstruktiv empfinden, die politische Glaubwürdigkeit aller Koalitionspartner wird deshalb leiden. Zur Glaubwürdigkeit gehört auch eine gewisse inhaltliche Übereinstimmung, eine gemeinsame Identität, die alle eint. Merkel hat auch betont, dass die „christlich-liberale Koalition am besten dafür geeignet ist, Deutschland zukunftsfest zu machen“. Angesichts des permanenten Zoffs und der Uneinigkeit in zahlreichen Politikfeldern ist dieser Satz eine Provokation des gesunden Menschenverstands.

Dass Westerwelle ausgerechnet die abwartende, vorsichtig agierende Merkel wiederholt zum öffentlichen Rüffel gegen ihn provoziert hat, ist wiederum Hinweis genug darauf, dass sich da zwei Politiker nicht mehr verstehen, ja misstrauen. Die Enttäuschung, das Entsetzen, die Wut über das Vorgehen des jeweiligen Partners geht mittlerweile wohl über das Politische hinaus und in das Persönliche hinein. Wenn aber die beiden wichtigsten Führer dieser Koalition nicht mehr konstruktiv miteinander streiten können, und zwar intern – welche Zukunft soll diese Koalition dann haben?

Die Situation scheint Kompromisse nicht zuzulassen: Westerwelle zwingt Merkel mit seinem reformeifrigen Populismus, die oberste Verantwortungswächterin aller Deutschen zu geben – und will ihr gleichzeitig Reformen abtrotzen. Merkel will eine Politik des Ausgleichs, des Austarierens, also die Fortführung der großen Koalition – und zwingt Westerwelle so in die Rolle des radikalen Reformers. Denn für Reformen ist die FDP nun einmal gewählt worden.

Die CDU ist natürlich vor allem wegen Angela Merkel gewählt worden und hat doch bei der Bundestagswahl auch Stimmenverluste hinnehmen müssen. Sie hat 27,3 Prozent erreicht, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht zerstört Westerwelle mit seiner wütenden FDP langfristig nicht nur seine eigene Reputation als seriöser Politiker und die Chance auf ordentliches Regierungshandeln, sondern auch noch die Sympathiewerte Angela Merkels. Das kann dann geschehen, wenn die FDP in der öffentlichen Wahrnehmung so unbeliebt wird, dass sie eine Gefahr für Merkel und die Koalition darstellt. Es kann aber auch indirekt passieren, wenn die Kanzlerin ihr Regierungsamt weiter darin erschöpft sieht, als eine Art Deutschlandpräsidentin, parteiübergreifend und ohne Tabubruch zu regieren. Angesichts der zweifellos vorhandenen Probleme etwa im Sozialstaat würde der Wähler das als Strategie zum Machterhalt entlarven.

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