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Meinung: Schwarze ohne Sheriff

Manfred Kanthers Abgang hat den Weg für eine Modernisierung der CDU frei gemacht

Von Robert Birnbaum

Wer studieren will, wie sich Politik verändert, sollte dieser Tage eine Exkursion nach Wiesbaden einplanen. Da steht ab dem heutigen Dienstag ein Mann vor Gericht, der seine eigene Partei verändert hat wie kaum ein zweiter und die anderen Parteien gleich mit. Er hat das sehr gegen seinen Willen getan. Wäre es nach Manfred Kanther gegangen, wäre er der Mann geblieben, der in der CDU und weit darüber hinaus für die innere Sicherheit in Deutschland stand. Als Kanther stürzte, kam das einer kleinen Zeitenwende gleich. Der Mann, gäbe es nicht den Prozess, ist fast vergessen. Die Zeitenwende ist es nicht. Sie wirkt nach.

Erinnern wir uns: Nichts in der ganzen Spendenaffäre hat die CDU seinerzeit derart erschüttert wie der Fall Kanther. Diese Verkörperung bürgerlichen Anstands, aus dem die Legitimation zu hartem Umgang mit allen irgendwie nicht ganz so Anständigen förmlich erwuchs – und dann das Schwarzgeld-Konto der Hessen-CDU! Dem Kleinbürger Helmut Kohl haben viele die Tricksereien mit Millionen irgendwie noch nachgesehen – dem großbürgerlich-korrekten Herrn nicht.

Der Sturz der Statue Kanther hat im Nachhinein betrachtet zwei Prozesse ausgelöst, die ein intaktes Denkmal schwer, wenn nicht unmöglich gemacht hätte. Zum einen erlaubte er der SPD praktisch ungehindert von Konkurrenz das Feld zu besetzen. Otto Schily hat sich zwar geärgert, als ihn unzufriedene Grüne zu Beginn seiner Amtszeit einen „Otto Kanther“ schimpften. Aber der Ex-Grüne hat sehr schnell erkannt, dass genau darin seine Chance lag. SPD-Wähler unterscheiden sich, was ihr Verständnis von Sicherheit angeht, nur unwesentlich von CDU-Wählern. Und Schily unterscheidet sich, was seinen Ruf als Wahrer bürgerlichen Anstands angeht, gar nicht mehr so sehr vom Vorgänger.

Zum anderen aber hat Kanthers Ende in seiner eigenen Partei den Weg frei gemacht für eine geistige Modernisierung. Auf einmal konnte – gegen wie viele Widerstände auch immer – einer wie der Saar-Ministerpräsident Peter Müller aussprechen, dass Deutschland ja wohl doch ein Einwanderungsland ist. Denen, die nach wie vor völlig anderer Meinung sind, fehlte – und fehlt bis heute – die Galionsfigur. Der Streit um die Sicherheitsgesetze zum Schluss der Zuwanderungsgespräche war nur noch eine müde Erinnerung an frühere Tage; und durchgesetzt haben sich letzten Endes nicht die alten Kämpen, sondern jene Pragmatiker, die heute in der Union den innenpolitischen Ton angeben: die Peter Müllers und Wolfgang Bosbachs und, ja, auch der Bayer ein Pragmatiker, Günther Beckstein.

Nicht auszuschließen übrigens, dass Kanther selbst diese Entwicklung ganz gern sieht. Der Mann ist ein viel klügerer, auch mitfühlenderer Konservativer als das öffentliche Bild vom schwarzen Sheriff immer vermittelte. Aber das Bild, zum Vorbild erhoben, hätte allemal ausgereicht, um den neuen Kurs zumindest zu erschweren. So aber kann sich keiner mehr darauf berufen.

Derart stark war der Schock über Kanthers moralischen Absturz, so wirksam die Verdrängung, dass nicht einmal der 11. September und seine Folgen den Bann durchbrachen. Wer in der Union für härtere Gesetze und gegen Kompromisse mit Rot-Grün eintritt, beruft sich nicht auf konservative Kontinuität, sondern gleich aufs Volk – als Populist, notgedrungen. Das ist vielleicht die wirksamste der Langzeitfolgen, die wider Willen jener Mann bewirkt hat, der sich nun in Wiesbaden wegen des Verdachts der Untreue verantworten muss.

Nicht wenige der Forderungen, die Innenpolitiker der Union heute erheben, stammen noch aus Kanthers Ära oder könnten damals genau so erhoben worden sein. Aber ihnen fehlt bis heute ein Stück von der Selbstgewissheit, mit der sie damals vorgetragen werden konnten. Kanthers Ende hat die innere Sicherheit der Union eben ziemlich erschüttert.

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