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Meinung: Selbstverständlicher Komplott

„Familien-Hilfe!“ vom 20.

„Familien-Hilfe!“ vom 20. August

Sachlich präzise, ohne moralische Aufgeregtheit, fast im Stil einer Dokumentation, zeichnen Sie das Bild eines korrupten Hilfsnetzwerkes, in dem ehemalige sozialpädagogische Studienkollegen und Weiterbildungsgenossen teils in den Ämtern, teils an der Hilfefront, in einem inzwischen selbstverständlichen Komplott sich gegenseitig unterstützen im gemeinsamen Bemühen, diesen immens teuren und ineffektiven Apparat zu eigenem Nutz und Frommen am Laufen zu halten. Ich bin einer der dienstältesten Berliner Kinder- und Jugendpsychiater und kann Ihnen nach 30 Jahren „Kampf“ in dieser Szene versichern: Ihr Artikel spricht mir aus der Seele.

Es ist genau so, wie Sie es beschreiben, teilweise noch viel schlimmer. Was in Ihrem Artikel nicht zur Sprache kommt, ist die nicht seltene Übergriffigkeit von aufgezwungenen Familien- oder Jugendhilfe-Maßnahmen, die intakte Familien zerbrechen und hoffnungsvolle Entwicklungen junger Menschen irreversibel zerstören. Dr. Wolfgang Droll,

Berlin-Wilmersdorf

Dieser Artikel suggeriert, abgeleitet von drei Fällen eines Trägers, pauschalierend, dass Träger der freien Jugendhilfe und ihre Mitarbeiter/innen allein wirtschaftlichen Interessen folgen, läppisch mit Auftrag und Zeitressourcen umgehen, dass Sozialarbeiter – weil ja keine Therapeuten – in Kinderschutzfällen halt überfordert sind und sich für die Familien nach Abgabe an die freien Träger nicht mehr interessieren, geschweige denn den Verlauf einer Hilfe kontrollieren würden. Nachfolgende Hilfeplangespräche, die bei einer Verlängerung für alle Beteiligten verpflichtend sind, hat Frau Schönherr ja nicht mehr wahrnehmen können.

Ich erlebe, wie Sozialarbeiterinnen, ihre Kollegen im Jugendamt und auch die Helfer/innen in den Familien täglich mit Verantwortungsgefühl und persönlichem Einsatz unter zunehmend schwierigen Bedingungen ihrer Aufgabe nachgehen. Letztendlich stellt sich auch die Frage nach der Verantwortung. Sind es die Jugendämter, die die Privatisierung der Hilfeleistungen mit dem Abbau von Stellen im Jugendamt vorantrieben, sorgen sie dafür, dass Sozialarbeiter/innen für 70 bis 90 Familien zuständig sind und haben überhaupt sie den Anspruch der Bürger/innen auf Hilfen zur Erziehung im Gesetz verankert? Vielleicht sollten Politiker/innen auch die Verantwortung für Bedingungen, die sie schaffen, übernehmen.

Uwe Rosenthal, Werder (Havel)

Ich bin mehr als erstaunt darüber, dass einem so unreflektierten und schlecht recherchierten Artikel in Ihrer Zeitung so viel Raum gegeben wird.

Besonders ärgerlich finde ich, dass ein Berufsstand lächerlich gemacht wird, der aus meiner Sicht viel für die Gesellschaft leistet. Sozialarbeiter sehen dort- hin, wo die Gesellschaft am liebsten die Augen schließt. Die Darstellung des Trägers, bei dem Frau Schönherr gearbeitet und drei Fälle betreut hat, kann nicht exemplarisch für alle Träger Berlins stehen. Das ist Populismus. Viele Träger betreiben mit erheblichem Aufwand Qualitätsentwicklung (übrigens im Dialog mit den Familien, der Senatsverwaltung und den Jugendämtern). Sie überprüfen ihre Leistungen regelmäßig auf Wirksamkeit und verfügen über detaillierte Dokumentationssysteme.

Aus vermehrt auftretenden Kinderschutzfällen und teilweise sehr komplexen Familiensystemen ergeben sich hohe Anforderungen an die Fachkräfte und ein erheblicher Dokumentationsaufwand. Dies ist notwendig und sinnvoll.

Frau Schönherr beschreibt die Arbeit eines Trägers. Dadurch wurden im Artikel die tatsächliche Arbeitssituation von Familienhelfern und die Situation der Familien ausgeblendet.

Dorothea Helwing, Berlin-Hakenfelde

Ihr Erlebnisbericht als Sozialpädagogin beschreibt gut die strukturellen Missstände in der und die vorhandenen Instrumente für gelingende ambulante Hilfe zur Erziehung. Jedoch wäre es aus meiner Sicht Ihre Pflicht als Journalistin (gewesen), in einem so ausführlichen Artikel auch über Beispiele gelingender Zusammenarbeit zu berichten – dies hätte gar nicht so aufwendige Recherchen in der Trägerlandschaft vorausgesetzt. So, wie der Artikel überschrieben ist und einleitet, verleitet er zu einem unzulässigen Generalverdacht gegen alle in den „Hilfen zur Erziehung“ handelnden Menschen.

Ich gebe Ihnen gerne Recht, meiner Erfahrung nach bleiben engagierte Mitarbeiter/innen (bei Träger und Jugendamt) nur engagiert, wenn sie mit dem Ziel der Entwicklung nachhaltiger Kompetenzen arbeiten (dürfen). Wenn in stationären Hilfen, die zu den (teuersten) Hilfen zur Erziehung zählen, wie in fast jedem Sommer eindrucksvoll entwickelte Jugendliche ihre nächsten Schritte aus der Einrichtung hinaus gehen – und ab dem neuen Schuljahr wieder sehr tief gefallene Jugendliche kommen, brauchen alle Handelnden und auch die Jugendlichen den Blick auf diese Erfolge.

Sie brauchen solche Erfahrungen, um immer wieder neues Vertrauen, Kraft und einen langen Atem für die oft heftigen und immer einzigartig zu findenden Wege zu haben.

Joachim Rebele, Bernau

Als Betriebsratsvorsitzender bei einem freien gemeinnützigen Wohlfahrtsverband weiß ich, wie belastet die KollegInnen in der Familienhilfe tatsächlich sind. Nichts, aber auch gar nichts trifft von dem geschilderten paradiesischen Arbeitsleben zu. Wo werden denn Gewinne gemacht? Doch nur da, wo es keine gute Bezahlung und Tarifvertrag gibt. Darüber hätte die Autorin mal berichten sollen, denn Fakt ist, dass für eine Stunde in einer Automarkenwerkstatt doppelt so viel ausgegeben wird wie für Soziale Arbeit. Im Sozialen wird massiv gespart (weil die armen Banken unser Steuergeld dringender brauchen) und nur der billigste Anbieter bekommt oftmals den Auftrag. Da sind inzwischen viele private Anbieter auf dem Markt, die in der Tat Gewinn machen wollen und nicht unbedingt Qualität bieten.

Die Autorin hätte aber auch mal über die Ursachen für die Notwendigkeit von Familienhilfe schreiben können, denn die größer werdende Arbeit und Arbeitslosigkeit wird noch viel mehr Menschen hilfebedürftig machen. Das kapitalistische Wirtschaftssystem schafft mit der ungleichen Verteilung des erwirtschafteten Volksvermögens diese Zustände. Soziale Arbeit ist letztlich dazu da, sozialen Sprengstoff zu entschärfen.

Soziale Arbeit ist das Schmiermittel, damit die Gesellschaft nicht aus den Fugen gerät. So schlecht über die dort arbeitenden Menschen zu schreiben, ist der Versuch, von den eigentlichen Problemen abzulenken, indem man mal wieder eine andere Zielgruppe herauspickt, auf die alle anderen einschlagen können. Mal sind es die Hartz-IV-Empfänger, mal die Griechen, mal die Ausländer, jetzt die Sozialarbeiter.

Holger Krause, Lübeck

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