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Mini-Europa in Brüssel. Durch die Sezessions-Bewegungen droht dem Kontinent mitten in der Finanzkrise die Kleinstaaterei.

© Reuters

Separatismus in Europa: Teilen und sich beherrschen

Von Flandern, über Schottland und Südtirol bis Katalonien: Separatismus gehört auch zu diesem Europa. Er ist Gefahr und Chance zugleich.

Von Frank Jansen

Es geht wieder ein Gespenst um in Europa, vor allem in der EU. Es gibt sich mal konservativ, mal links – es schillert gern, das Gespenst, das jetzt viele beunruhigt: der Separatismus. Und es wächst, genährt durch regionale Unzufriedenheiten, durch die Finanzkrise der Euro-Staaten noch verschärft. Fällt nun Westeuropa in die Kleinstaaterei zurück, wie der Balkan? Ist der Separatismus gar der Anfang vom Ende des supranationalen Projekts der Europäischen Union und die Antithese zum „Europa der Regionen“? Das Gespenst, lange kaum wahrgenommen, bläht sich nun Monat für Monat weiter auf.

Am Sonntag hat im Norden Belgiens die flämische Unabhängigkeitspartei N-VA die Kommunalwahlen gewonnen und, besonders prestigeträchtig, das Rathaus von Antwerpen erobert, der größten Stadt Flanderns. In Großbritannien werden die Weichen gestellt für ein Referendum über eine Abspaltung Schottlands. In Barcelona haben im September mehr als anderthalb Millionen Menschen für die Unabhängigkeit Kataloniens demonstriert. Auch das traditionell hitzige Duell zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid geriet jetzt im Barça-Stadion zu einem kollektiven Schrei nach „Independència“. Und es schwelt im Baskenland, in Südtirol und weiteren Regionen.

Stärkstes Motiv ist Geiz. Reiche Regionen wie Flandern und Katalonien wollen nicht für arme wie Wallonien (das einst Flandern stützte) und Andalusien zahlen. Jetzt erst recht nicht, da öffentliche Haushalte überschuldet sind und selbst das reiche Katalonien pleite ist. Der Separatismus profitiert von der Finanzkrise und konfrontiert die Nationalstaaten wie die EU mit zusätzlichen Problemen. Zu spüren ist aber auch, dass historische Traumata, die überwunden zu sein schienen, wie das der Franco-Diktatur in Spanien, in Katalonien und dem Baskenland noch präsent sind – obwohl die beiden Regionen viel Autonomie genießen.

Wenn sich Territorien dennoch abspalten wollen, wenn die Unabhängigkeit durch die klare Mehrheit in einem Referendum legitimiert wäre – dann müssten die zentralen Institutionen des betroffenen Nationalstaats abwägen, ob es mit dessen demokratischer Grundordnung zu vereinbaren ist, mit Zwang, gar mit Gewalt, die Abtrünnigen festzuhalten. Und einen Bürgerkrieg zu riskieren, nach dem grässlichen Muster des von einem autoritären Regime zerstörten Jugoslawiens. Aber kann das ein Demokrat wollen: Panzer auf den Straßen von Barcelona?

Vielmehr könnte das britisch- schottische Verfahren über eine Trennung mit zumindest formalem Konsens die Richtung für weitere Scheidungsprozesse vorgeben. Anschließend wird sich wohl die EU kümmern müssen. Die meisten Separatisten hoffen, ihr neuer Staat würde von der Union aufgenommen. Auch der glühendste Fan der Unabhängigkeit ahnt, dass seine Mini-Republik wirtschaftlich allein nur schwer bestehen kann. Es wäre dann Aufgabe der EU, den Kandidaten für eine Aufnahme klar zu machen, dass man einen Staat verlassen kann – aber die Verantwortung für Europa bliebe.

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