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Meinung: Sicherheit und Freiheit schließen sich nicht aus

Die CDU muss das Thema Gerechtigkeit neu definieren Von Daniel Dettling

Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit“. Mit diesem Leitmotto will die CDU die Debatte um ihr neues Grundsatzprogramm führen, das bis 2007 abgeschlossen sein soll. Solche Dialektik in einer konservativen Partei überrascht. Die beiden Begriffe Gerechtigkeit beziehungsweise. Sicherheit und Freiheit wurden bislang politisch gegeneinander ausgespielt. Das von der CDU gerne angerufene Meinungsforschungsinstitut Allensbach bringt die Begriffe regelmäßig in Stellung und verkündet dann, die Deutschen würden Sicherheit statt Freiheit wählen. Was aber, wenn beide Werte in einem dialektischen, sich bedingenden Verhältnis stehen? Dann müsste neu gefragt werden, von der Politik und den Meinungsforschern. Die Frage lautet dann: Wie bereiten wir die Bürger auf riskante Freiheiten vor und sichern diese besser ab als bisher?

Am Anfang einer Antwort steht die Diagnose: Der deutsche Sozialstaat ist ineffizient und oft sogar die Ursache für Fehlentwicklungen. Seine beiden Fundamente, Arbeit und Familie, tragen nicht mehr. Kein Land der Welt gibt mehr aus für aktive Arbeitsmarktpolitik und Familien und fällt dennoch in den Gerechtigkeitsbilanzen immer weiter zurück. Deutschland ist OECD-Weltmeister bei der Arbeitslosigkeit Geringqualifizierter und Schlusslicht bei den Geburten. Eine so praktizierte Sozialpolitik – immer mehr Geld und immer schlechtere Ergebnisse – hat fatale mentale Folgen für die gesamte Gesellschaft. Das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit wird als gegeben hingenommen und der Kinderwunsch geht zurück. Die Spirale der Erwartungslosigkeit trifft auch die Politik. Die Lösung der großen Fragen wird ihr nicht mehr zugetraut. Die CDU will sich dem stellen. Ihr Generalsekretär Ronald Pofalla gibt vier Themen vor: Chancen, Generationen, Leistung und Familien. Wie könnten neue Antworten lauten?

Chancen: Die Zukunft eines Kindes hängt hier zu Lande maßgeblich von der Herkunft der Eltern ab. Das bedeutet bei einer im internationalen Maßstab bescheidenen Akademikerquote die Zunahme von Bildungsarmut und damit langfristig eine steigende Staatsquote. Während die Arbeitslosigkeit unter Akademikern in den letzten Jahren in Westdeutschland nie unter fünf Prozent lag, wuchs sie bei den Unqualifizierten auf 22 Prozent. Eine neue Chancenpolitik muss bei der Bildung beginnen und die Einrichtungen in die Pflicht nehmen. Fatal ist die deutsche Debatte um Studiengebühren. Sie verschreckt, und sie ermuntert junge Menschen nicht, ein Studium aufzunehmen. Die Botschaft müsste vielmehr lauten: „Jeder, der das Talent hat, soll studieren können und wir helfen euch bei der Finanzierung. Später zahlt, wer dazu in der Lage ist, einen Teil davon zurück. Den Besten erlassen wir die Rückzahlung.“

Generationen: Das deutsche Umlageverfahren der Rente belohnt Kinderlosigkeit und bestraft Familien. Gerechter wäre eine steuerfinanzierte Familienkomponente bei gleichzeitiger Deckelung der Rente nach oben. Wer einen höheren Lebensstandard will, der kann und muss privat vorsorgen. Eine andere Frage rückt zunehmend in das Zentrum der Debatte: Wo wird künftig Alltagssolidarität erbracht, wenn immer weniger Kinder geboren werden, immer mehr Ältere alleine leben und die Frauen – zu Recht – nicht mehr die alleinige Pflegearbeit übernehmen wollen? An welchen Orten treffen sich Jüngere und Ältere noch und wie können soziale Leistungen organisiert und finanziert werden, die weder rein privat noch rein staatlich erbracht werden? Der Aufbau einer dynamischen und sozial produktiven Bürgergesellschaft wäre eine mögliche Antwort.

Leistung: Für untere Einkommensgruppen und Niedrigqualifizierte lohnt sich Arbeit in Deutschland nicht. Die höchste Abgaben- und Steuerquote tragen die Einkommensgruppen unter 3000 Euro brutto. Viel spricht daher für eine Staffelung der Sozialbeiträge und eine stärkere Steuerfinanzierung des Ausgleichs. Diese wäre auch gerechtfertigt, da es im Interesse aller Steuerzahler liegt, wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht und einfache Tätigkeiten wieder angeboten werden. Gerade im haushaltsnahen Bereich schlummert ein Beschäftigungspotenzial von mehreren hunderttausend Jobs. Zur neuen Ehrlichkeit gehört der Abschied vom Glauben an die Vollbeschäftigung alter Prägung. Reguläre Jobs stehen nicht für alle zur Verfügung. Umso wichtiger werden soziale, öffentlich bezahlte Tätigkeiten. Hartz IV müsste in Richtung einer Gemeinwohlarbeit weiterentwickelt werden.

Familien: Die alte Familienpolitik hat die Hausfrauenehe gefördert. Das ging so lang gut, wie das Einkommen des Mannes für beide reichte und die Frau ihre Verwirklichung im eigenen Heim sah. Heute wollen junge Menschen beides, Beruf und Familie. Eine neue Familienpolitik wird daher die Beschäftigung von Frauen erhöhen bei gleichzeitiger Förderung der Betreuung ihrer Kinder. Ohne eine stärkere Ansprache der Unternehmen und Männer wird ihr dieses Ziel nicht gelingen.

Die Dialektik von mehr Gerechtigkeit durch mehr Freiheit bedeutet letztlich die Steigerung der Wahlmöglichkeiten (Optionen) bei gleichzeitiger Stärkung der Bindungen (Ligaturen). Diese „Quadratur des Kreises“ (Ralf Dahrendorf) könnte der CDU gelingen, wenn sie sich offen und ehrlich an die Ideenarbeit macht. Warum sollte auf das sozialdemokratische nicht das konservative Jahrhundert folgen?

Der Autor leitet den Think Tank berlinpolis (www.berlinpolis.de).

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