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Meinung: Sie agieren kopflos

Amerika verhaftet immer weitere Anführer der Al Qaida und des Saddam-Regimes, bekommt den Terror aber nicht in den Griff

Von Frank Jansen

Es klang ziemlich kühn, als Cofer Black, Antiterrorismus-Koordinator im US-Außenministerium, Anfang Mai verkündete, Al Qaida gehe dem Ende entgegen. „They are running out of gas“, sagte der Experte und erwähnte die spektakulären Festnahmen von Top-Terroristen wie Khalid Scheich Mohammed, einem Drahtzieher des 11. September. Keine vier Monate später zeigt sich, dass Black – und mit ihm offenbar die Regierung Bush – die reale Lage nicht richtig wahrgenommen oder zumindest illusionär interpretiert haben. Al Qaida und den zahllosen verbündeten Terrorgruppen geht keineswegs „das Benzin aus“. Die schweren Anschläge auf das Marriott-Hotel in Djakarta, die jordanische Botschaft in Bagdad und jetzt auf das UN-Hauptquartier sind selbst nach Ansicht von US–Experten sicher oder mutmaßlich dem Al-Qaida-Spektrum zuzuschreiben. Die Amerikaner scheinen die Kampfkraft und die Flexibilität des islamistischen Terrorismus zu unterschätzen.

Die Liste der Irrtümer wird immer länger. Einige Beispiele. Die Amerikaner glauben offenbar, das Terrorproblem in Steckbrief-Manier abarbeiten zu können. Doch die Festnahme von Chefplanern der Al Qaida hat die Gefahr neuer Anschläge nicht verringert, höchstens regional verschoben. Südostasien, Nord- und Ostafrika, Afghanistan, Pakistan, Saudi-Arabien, jetzt auch der Irak gelten als besonders gefährdete Regionen. Dass in Europa (abgesehen vom tschetschenischen Terror in Russland) und den USA nach dem 11. September neue Attentate verhindert wurden, berechtigt nur zu der vagen Hoffnung, es könne eine Zeit lang so bleiben. Trotz der Fahndungserfolge sind weltweit tausende Islamisten unterwegs, die in den afghanischen Camps der Al Qaida zu Zeitbomben auf zwei Beinen umfunktioniert wurden. Sie bleiben hochgefährlich – selbst wenn Osama bin Laden gefasst werden sollte.

Die Amerikaner irren auch in ihrem Glauben an die Wirkung wuchtiger Militärschläge. Der Einsatz in Afghanistan hat die globale Infrastruktur des islamistischen Terrors keineswegs nachhaltig geschwächt. Und mit dem Krieg im Irak haben sich die USA, allen Warnungen zum Trotz, sogar ein zusätzliches Terrorproblem aufgebürdet, dessen Dimension von Tag zu Tag zu wächst. Obwohl nach und nach die Führungsfiguren des Saddam-Regimes, wieder in Steckbrief-Manier, ausgeschaltet werden.

Den Amerikanern fehlt eine Strategie, die sich der Flexibilität des Feindes anpasst. Das globale Netz des islamistischen Terrors ist zunehmend dezentral organisiert, außerdem werden Hierarchien mehr und mehr durch „leaderless resistance“ autonomer Zellen und Einzeltäter ersetzt. Noch mehr Steckbriefe, Panzer, Special Forces und Haftzellen in Guantanamo bewirken da wenig. Vielmehr müsste Repression stärker ergänzt werden durch politische, mit den Verbündeten koordinierte Initiativen, die dem islamistischen Terrorismus zumindest langfristig die Legitimation entziehen.

Das könnte zum Beispiel bedeuten, das algerische Militärregime und die Monarchien am Persischen Golf nachdrücklich zu einer Demokratisierung zu bewegen, selbst wenn dann gemäßigte Islamisten mitregieren würden. Zentral bleibt eine Vermittlung im Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis. Nötig ist auch diplomatischer Druck auf Russland, endlich den Tschetschenienkrieg zu beenden und der Bevölkerung echte Autonomie anzubieten. Und schnellstmöglich muss mit den UN ein gemeinsamer Plan entworfen werden zur Stabilisierung des Irak, damit der Übergang zu einer eigenständigen zivilen Verwaltung zumindest absehbar wird.

Die vielen ungelösten Regionalkonflikte in der islamischen Welt sind vor allem für junge Muslime oft Anlass, sich zu radikalisieren. Mohammed Atta und andere Mitglieder der Hamburger Zelle erwogen, nach Tschetschenien zu ziehen und an der Seite der islamistischen Rebellen zu kämpfen. Die jungen Algerier, die beinahe im Dezember 2000 einen Bombenanschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt verübt hätten, wollten unter anderem Frankreich für die Unterstützung des algerischen Folterregimes bestrafen. Auch wenn sich nicht ausschließen lässt, dass Atta und andere junge Muslime so oder so in den Islamismus abgedriftet wären, würde durch die Entschärfung der Regionalkonflikte den Hassparolen eines Osama bin Laden und zahlloser Prediger die suggestive Kraft genommen. So könnte zumindest langfristig der islamistische Terror eingedämmt werden. Bis zum „running out of gas“ wäre es auch dann noch ziemlich weit.

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