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Meinung: Sie bleibt dabei

Um zu verstehen, welche Bedeutung die Rede Angela Merkels auf dem Bundesparteitag der CDU hatte, ist ein Rückgriff nötig: auf den letzten SPD-Parteitag. Der dort behaupteten Identifikation der Sozialdemokraten mit der politischen Mitte, diesem Hegemonieanspruch musste widersprochen werden - und wer, wenn nicht die Parteichefin sollte das tun?

Um zu verstehen, welche Bedeutung die Rede Angela Merkels auf dem Bundesparteitag der CDU hatte, ist ein Rückgriff nötig: auf den letzten SPD-Parteitag. Der dort behaupteten Identifikation der Sozialdemokraten mit der politischen Mitte, diesem Hegemonieanspruch musste widersprochen werden - und wer, wenn nicht die Parteichefin sollte das tun? Das erste Urteil lautet also: Sie hat sich nicht gedrückt.

In der Gesellschaft werden Mitte und Mehrheit als zusammengehörig gedacht. Da ist es umso notwendiger, dass die CDU als selbst ernannte "Volkspartei der Mitte" Antworten findet auf den Versuch des Parteichefs der SPD, den Wettbewerb schon dadurch zu entscheiden, dass er die Begriffe besetzt, die Politikinhalte vorgibt, die Konzepte der Moderne für sich beansprucht. Insofern kam es zum Auftakt des CDU-Parteitags in Dresden zu einem virtuellen Duell zwischen Merkel und Gerhard Schröder, nicht dem ersten, aber einem besonders beachtenswerten, weil die Frage, wer den Kanzler bei der Wahl 2002 als Kandidat herausfordert, zwischen CDU und CSU noch nicht entschieden ist. Und da lautet das Urteil: Diese Frau würde sich nicht drücken.

In jeder Phase ihrer Rede ist deutlich geworden, wie machtbewusst Angela Merkel tatsächlich ist. Ihre Beschreibung der gegenwärtigen politischen Situation im Land - fernab des Krieges - war nicht neu, aber sie war gelungen. Sie hat den Bogen geschlagen, jedes Thema berührt, aber im Zentrum steht die (unausgesprochene) Erkenntnis: Es ist die Wirtschaft, Dummkopf.

Auf diese Anlehnung an Bill Clintons ersten erfolgreichen Wahlkampf zielte Merkel. Das Sozialkonservative als Ort der Mitte, der Wettbewerb um die besten Konzepte, wie Globalisierung in Rücksicht auf die Verwurzelung des Einzelnen möglich ist - das ist im Grunde schon ein Wahlkampfthema für die Mitte. Es klingt nur links, was Merkel sagt. Die Partei erreicht die Botschaft dennoch.

Ihre Aggressivität zeigte sich in Gesten und bei dankbar aufgenommenen, auf genauer Beobachtung des politischen Gegners beruhenden Pointen wie: Noch keine Regierung ist in so kurzer Zeit so stark gealtert. Das gefällt den Delegierten. Sie wollen endlich kämpfen - können. Sie wollen mitgenommen werden. Die Frage der Kanzlerkandidatur entscheidet sich daran, wer es der Basis besser vermitteln kann.

Am ersten Tag hat Merkel ihr vermittelt, dass sie die Themenpalette beherrscht. Sie hat nachgewiesen, dass sie Stimmungen erkennen und forcieren kann. Immerhin. Aber immer dann, wenn es darum ging, Werte geltend zu machen, die Sachangemessenheit von Lösungen tiefer gehend zu argumentieren und ihr Maß genau zu beschreiben, hielt sie sich zurück. Nicht, dass Merkel es nicht könnte; mancher Exkurs hat es gezeigt. Sie will nur offenkundig nicht, denn so macht sie sich weniger angreifbar.

Bei der Zuwanderungsfrage etwa sagte Merkel nichts Genaues zu humanitären Regelungen, sie definierte die Härtefälle nicht, ging aufs Zuzugsalter nicht rechtlich, sondern pädagogisch ein. Oder bei der Bioethik: Nicht über die rote Gentechnik sprach sie, sondern über die grüne. Beides zusammen zeigt, dass Merkel dort, wo sie abweichende Meinungen hat, lieber nicht führt, sondern moderiert, sie versucht es zumindest. Auch das ist eine Taktik, weniger angreifbar zu sein. Sie hinterlässt einen Eindruck inhaltlicher Leere - stößt aber niemanden in der Partei vor den Kopf. Das ist gewinnbringender: für eine Kanzlerkandidatin. Die muss für ihr Politikangebot, wenn sie gewinnen will, einen möglichst breiten Ansatz wählen.

Nein, sie drückt sich nicht. Das hat die Rede gezeigt: Merkel wahrt ihre Chance. Sie bemüht sich um die Mitte - erst einmal der CDU. Ja, sie will Schröder herausfordern. Wenn sich kein Gefährlicherer findet.

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