zum Hauptinhalt

Meinung: Sie haben ihre Gründe

George W. Bush und Tony Blair – sind die beiden noch Herr der Lage?

Amerikas Oberbefehlshaber im Irak schockt die Nation mit dem Wort Guerillakrieg. Präsident Bush und Premier Blair beharren auf einer Kriegsbegründung, die ihnen kaum einer abnimmt. Deutschland rätselt über die wahre Bilanz der USA-Reise des Außenministers Fischer: Geht die Bundeswehr doch noch in den Irak, falls Amerika einem UN-Mandat zustimmt? Und jetzt dieser brisante Leichenfund – der mutmaßliche Kronzeuge der BBC für den Kriegslügen-Vorwurf gegen Tony Blair? Das Irak-Dossier wird immer verwirrender, blutiger, schmutziger. Sind die Regierenden noch Herr der Lage?

Die Leiche ist Sache der britischen Polizei. Natürlich laden die Umstände zu Verschwörungstheorien ein. Doch der Verdacht, die Londoner Regierung könnte in einen Mord an einem unbequemen Zeugen verwickelt sein – nein, der ist so ungeheuerlich, dass man ihn bis zum Beweis des Gegenteils von sich weisen muss. Dennoch ist gut möglich, dass Blair die Reise nach Peking und Hongkong abbrechen muss, um sich der Debatte zu stellen.

Aktuell gefährlicher ist, was hinter dem neuen G-Wort steckt: Von einem Guerillakrieg im Irak spricht General John Abizaid. Wer denkt da nicht das für Amerika noch schauerlichere Wort Vietnam mit? Vor dem Krieg hat sich das keiner vorgestellt: dass der Nachkrieg mehr westliche Soldaten das Leben kosten könnte als die offiziellen Kämpfe.

Es hat aber keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen. Diese Guerilla mag diffus sein, letzte Saddam-Anhänger, Clans, die sich für getötete Angehörige an den Besatzern rächen, religiöse und politische Gruppen, die um Einfluss kämpfen. Dennoch, Briten und Amerikanern ist es bisher nicht gelungen, einen sicheren Alltag zu garantieren. Das liegt allerdings in ihrer Verantwortung, dieses Problem müssen sie vordringlich lösen. Sie müssen eine Abwehrstrategie gegen die täglichen Überfälle entwickeln und der Guerilla den Rückhalt nehmen, indem sie die Bevölkerung für sich gewinnen: durch verlässliche Versorgung mit Wasser und Essen sowie Schutz von Leben und Eigentum.

Wirklich Besorgnis erregend ist, dass Bush und Blair den Überblick zu verlieren scheinen, was wichtig ist und was nicht, wo sie kämpfen müssen und wo Fehler einräumen. Wie können sie nur so sehr darauf beharren, Saddams Atomwaffenpläne hätten den Krieg unvermeidbar gemacht? Bei Bio- und Chemiewaffen sahen auch die Geheimdienste der Kriegsgegner dringenden Klärungsbedarf. Das Belastungsmaterial bei A-Waffen dagegen war von Anfang an dünn.

Das andere, viel wichtigere G-Wort sitzt ihnen im Nacken: Glaubwürdigkeit. Merken sie nicht, dass sie die mit allen Verteidigungsversuchen noch mehr untergraben? Wie immer man zu diesem Krieg steht – lässt man sich auf Bushs und Blairs Denken ein, dann gab es gute Gründe und schlechte. Atomwaffen waren nie der Kriegsgrund. Warum geben sie nicht zu, dass dieser Vorwurf Unfug war? Ihnen bleiben zwei aus ihrer Sicht gute Gründe: Sturz einer Diktatur und neue Chancen für einen Nahostfrieden. Das zeigt sich in Palästina schon lange und bestätigt sich jetzt durch Syriens neue Gesprächsbereitschaft. Statt dessen hohles Pathos: Die Geschichte werde sie frei sprechen.

Die Bundesregierung geht geschickter mit ihren Irrtümern um. Sie hat Recht, wenn sie jetzt keine Soldaten anbietet. Ihr Fehler war ja nicht, dass sie nicht am Irakkrieg teilnahm, sondern dass sie gegen Amerika arbeitete. Fischer hat erkannt, dass ein Erfolg der Amerikaner und Briten auch im deutschen Interesse liegt. Und er sagt es. Nur die Mittel, die viele anpreisen – breiteres UN-Mandat, UN-Verwaltung, multinationale Truppe –, bringen wenig.

Glaubt irgendjemand, der Widerstand werde aufhören, wenn Deutsche und Franzosen in den Irak einrücken, weil sie die Kriegsgegner waren? Wenn die Besatzung unter einem klareren UN-Mandat als der Resolution 1483 stünde? Dass ein UN-Verwalter bessere Arbeit leistet als der US-Zivilist Paul Bremer? Alle Erfahrung mit den UN spricht dagegen, und für Hilfe reicht die Resolution 1483. Das Dringlichste können nur Bush und Blair leisten: Glaubwürdigkeit herstellen – zu Hause und durch eine klare Linie im Irak.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false