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Meinung: Sie nennen es Freiheit

Von Rainer Woratschka

Natürlich kann man die Sache auch miesepetrig sehen. Seit gestern ist der erste Teil der Gesundheitsreform in Kraft, die Kassen dürfen nun auch Wahltarife anbieten. Damit, so argumentiert nun die Gewerkschaft, würden Ältere und Kranke benachteiligt. Das ist nicht falsch. Alte und Kranke müssen häufiger zum Arzt und in die Apotheke, ein günstiger Selbstbehalttarif rechnet sich für sie nicht. Genauso wenig werden sie in den Genuss von Beitragsrückzahlungen für nicht beanspruchte Leistungen kommen. Ihre Beiträge werden dank der Reform künftig also aller Voraussicht nach etwas höher liegen als die der Jungen und Gesunden.

Das kann man ungerecht finden. Dass das neue Belohnungssystem den Kassen aber letztlich das Geld für die Behandlung der Alten und Kranken entzieht, ist schon eine sehr verwegene Schlussfolgerung. Schließlich können auch gesunde Mitglieder hohe Kosten produzieren, wenn man ihnen keinen Sparanreiz gibt – mit unnötigen Arztbesuchen etwa oder mit großzügiger Arzneimitteleindeckung. Und die Kassenstatistiker werden genau kalkulieren, wie viel sie im neuen Tarifwettbewerb einsetzen können, um unterm Strich schwarze Zahlen zu schreiben und für ihre Versicherten attraktiv zu bleiben. Was nicht heißen soll, dass sich womöglich auch manche Krankenkasse in der Euphorie der neuen Möglichkeiten ein wenig vergaloppieren könnte. Aber wenn sich der Markt sortiert hat, werden die Kassen mit den Wahltarifen vor allem eines tun: Ausgaben sparen und diese Ersparnisse in möglichst gute Krankenversorgung investieren. Das gebietet schon der Wettbewerb.

Nein, die neue Wahlfreiheit für gesetzlich Versicherte gehört ganz klar zu den angenehmen Neuerungen durch die Gesundheitsreform. Aber mehr Freiheit beinhaltet immer auch Qual der Wahl, Risiko, Unübersichtlichkeit. Manche mögen sich davon überfordert fühlen, bei den vielen Entscheidungserfordernissen im Alltag. Und der Vorteil bei der Wahl des Stromversorgers oder des Telefonanbieters lässt sich leichter kalkulieren als das Krankheitsrisiko. Attraktiv scheinende Angebote können bei Unfall oder unerwarteter Erkrankung schnell teuer zu stehen kommen. Deshalb gilt erst einmal: abwarten, umschauen, vergleichen. Wer nichts macht, macht nichts verkehrt. Am Zug sind jetzt die Kassen.

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