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Meinung: Sie sollen es richten

Erst setzten die Telekom-Aktionäre auf die Börse, jetzt auf die Anwälte

Der Ort ist ungewöhnlich. Im größten Strafprozesssaal des Frankfurter Landgerichts nimmt der größte Zivilprozess, den es in Deutschland je gab, seinen Anfang. Bis zu 18000 enttäuschte Anleger, vertreten durch 630 Anwaltbüros, fordern ihr Geld von der Deutschen Telekom zurück. Die Kläger haben im Sommer 2000 Aktien des Unternehmens gekauft, die ihnen im Rahmen einer beispiellosen Werbekampagne und mit besonderer Empfehlung des Finanzministers angeboten wurden. Sie argumentieren nun, dass die Telekom im Börsenprospekt den Wert ihres Immobilienvermögens falsch angegeben und Risiken verschwiegen habe.

In dem Streit geht es nicht nur um die rund 200 Millionen Euro, die die Kläger zurückverlangen. Sondern, ähnlich wie im Mannesmann-Prozess, um die Frage, wie es mit der Aktienkultur in Deutschland bestellt ist. Es geht um Ehrlichkeit – und darum, ob arglosen Anlegern Papiere als Volksaktien angedreht wurden, die mit hohen Risiken behaftet waren. Zu 66,50 Euro wurde die T-Aktie damals ausgegeben, ein paar Tage konnte sie sich halten, danach ging es abwärts. Heute ist die T-Aktie nicht einmal mehr 16 Euro wert.

Ein Gerichtssaal ist nicht der richtige Ort, um sich über die schlechte Entwicklung einer Aktie zu beschweren. Aktien werfen keine sichere Rendite ab. Sie sind immer mit hohen Risiken verbunden. Wer mit der Entwicklung eines Unternehmens unzufrieden ist, verkauft seine Aktien – an der Börse, nicht im Gerichtssaal.

Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Im Sommer 2000 entging kein Mensch in dieser Republik der allgegenwärtigen Werbung für die Aktien mit dem magentafarbenen T. Und auch wenn der ehemalige Telekom-Chef Ron Sommer später immer behauptete, das Wort Volksaktie niemals in den Mund genommen zu haben: dass die T-Aktie so sicher sei wie eine Zusatzrente, hat er schon gesagt. Wider besseres Wissen.

Viele der T-Anleger vertrauten zudem darauf, dass der Staat, der eigentliche Verkäufer der Aktien, seine Bürger nicht zu gewagten finanziellen Abenteuern verführt. Als Volksaktien galten früher Aktien privatisierter Staatsunternehmen wie Volkswagen, Preussag oder RWE: Papiere, mit denen man das Auskommen von Witwen und Waisen sichern konnte. Dass Telekommunikations-Aktien in diese Familie nicht so richtig passen, war schon im Sommer 2000 mehr als offensichtlich.

Aber mussten die Anleger auch einkalkulieren, dass der Staat es bei der Aufstellung der ersten Telekom-Bilanz im Jahre 1995 mit den eigenen Gesetzen nicht so genau nahm? Dass er statt der vorgeschriebenen Bewertung einzelner Grundstücke eine pauschale Bewertung vornahm? Noch dazu eine, die das Immobilienvermögen der Telekom über Nacht deutlich wertvoller machte? Nein. Sind die Anleger wirklich ausreichend über die spezifischen Risiken der Telekom – zum Beispiel die Pensionsverpflichtungen für Beamte – hingewiesen worden? Hätte man die Aktionäre nicht informieren müssen, dass man die milliardenschwere Übernahme der US-Mobilfunkfirma Voicestream erwägt?

Der Richter hat am Dienstag bereits einen Teil dieser Fragen verneint – das betrifft aber nur die juristische Seite. Doch darum geht es eben nicht allein. Es geht auch darum, zu zeigen, dass der Staat und die Unternehmen Kleinaktionären nichts vorflunkern dürfen. Und es geht darum, einen Weg aufzuzeigen, wie Aktionäre künftig zu einer fairen Verhandlung kommen. Immerhin hier besteht Hoffnung auf eine differenziertere Antwort.

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