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Meinung: Sind Lebkuchen krebserregend? Bei der Acrylamidgefahr folgt das Verbraucherministerium der Logik der Lebensmittel-Lobby / Von Thilo Bode

Beim Idealbild des Verbrauchers sind sich alle Parteien schnell einig: Mündig soll er sein, aufgeklärt und verantwortlich einkaufen – auch um sich vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Doch wie sieht es aus mit den dafür notwendigen Informationen?

Beim Idealbild des Verbrauchers sind sich alle Parteien schnell einig: Mündig soll er sein, aufgeklärt und verantwortlich einkaufen – auch um sich vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Doch wie sieht es aus mit den dafür notwendigen Informationen? Acrylamid in Lebensmitteln ist hier ein interessanter Testfall: wie derzeit beim Weihnachtsgebäck erfahren Verbraucher nichts Genaues über die Belastungen der Produkte. Gerade weil die Schädlichkeit der im Tierversuch krebserregenden und erbgutverändernden Substanz für den Menschen noch nicht nachgewiesen ist, fordert das Bundesinstitut für Risikoforschung, „die Acrylamidgehalte von Lebensmitteln so schnell und so weit wie möglich zu senken“. Erreicht die Regierung dieses Ziel ihrer Behörde?

Das Verbraucherministerium weigert sich, Hersteller zur Angabe der Acrylamidgehalte auf der Verpackung zu verpflichten. Dabei kann der gezielte Griff ins Regal zum Beispiel bei Lebkuchen die Belastung um das Vierzigfache senken, bei Chips um das Fünfzehnfache. Das Ministerium beschränkt sich bei seiner „Minimierungsstrategie“ auf die Festsetzung von „Signalwerten“, an denen sich die Hersteller orientieren sollen. Die Werte werden aber aus den am stärksten belasteten Produkten ermittelt, statt aus den niedrigsten. Das Nürnberger Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung fordert deshalb, die Signalwerte „am technisch Möglichen auszurichten“. Der für Lebkuchen liegt jedoch seit einem Jahr unverändert bei 1000 Mikrogramm pro Kilo. Dabei gibt es Hersteller wie LebkuchenSchmidt, die ohne Qualitätsverlust selbst 50 Mikrogramm unterschreiten.

Das Minimierungskonzept ermuntert die Unternehmen keineswegs, die Belastung zu senken. Im Gegenteil: es schadet den Verbrauchern und jenen, meist mittelständischen, Unternehmen, die die Acrylamidwerte ihrer Gebäcke im Laufe des Jahres um bis zu 80 Prozent reduziert haben, während sich Großunternehmen wie Bahlsen auf viel zu hohen Signalwerten ausruhen können. Bei den jüngsten foodwatch-Tests waren die Acrylamidgehalte nicht durchgängig gesunken, sondern bei einem Drittel der Produkte gestiegen, darunter auch zwei von Bahlsen. Der Verbraucher darf also nicht damit rechnen, ein Produkt mit niedrigerer Belastung als letztes Jahr zu kaufen. All das mit dem Segen des Verbraucherministeriums, das die Wirkungslosigkeit seiner Minimierungsstrategie ebenso wenig eingesteht wie die Notwendigkeit einer Produktkennzeichnung. Diese Art der Politik folgt der typischen Lobby-Logik. Der Bundesverband der Süßwarenindustrie – und nicht die Hersteller selbst – verhandelt mit der Regierung. Da der Verband allen seinen Mitgliedern zu Diensten sein muss, setzen sich am Schluss die Bremser und nicht die Vorreiter durch. So macht das Verbraucherministerium eine Verbraucherpolitik, die nicht nur den Verbrauchern, sondern auch dem Mittelstand schadet.

Der Autor ist Geschäftsführer von foodwatch e.V. Foto: privat

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