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Meinung: So leicht! Ein Künstler des Krokants!

Von Pascale Hugues, Le Point

In meiner Straße hat eine neue Konditorei aufgemacht! Ich beschleunige meine Schritte: Könnte es sich um die gastronomische Rettung Schönebergs handeln? Der Name des neuen Ladens verrät: Der Bäcker ist ein Dichter! Allerdings verheißt der ärmliche Reim wenig Gutes über das kreative Potenzial des Konditors (ich liebe dieses Wort, es klingt wie ein Echo vom italienischen Operntenor). Ich unterdrücke mein instinktives Misstrauen und öffne mutig die Tür. Die Atmosphäre im Inneren ist aseptisch. Neonleuchten zieren die Decke. Kein Duft von Vanille, kein Aroma von Gewürzen dringen an meine bebenden Nasenflügel. Hinter dem Panzerglas der Vitrine: militärisch angeordnete Backwaren.

„Was soll’s sein?“, fährt mich die Verkäuferin an. Meine Augen bleiben an einer Batterie von Obstplundern hängen, die Traktorreifen ähneln. Daneben ein halbes Dutzend Amerikaner, mit bleierner Schokoladenkruste versiegelt. Weiter finden sich dort – der Konditor will offenbar sein literarisches Können unter Beweis stellen – merkwürdige Gebilde namens „Asterikraft“: mit trockenen Rosinen und Erdnüssen bestreute Rechtecke, ideal für den Stoffwechsel, aber zum Zähne dran ausbeißen. Die „Streußelhappen“ sehen aus wie besonders feuchtigkeitsarme Parzellen der Sahelzone. Wie versteinert stehe ich vor dieser bizarren Auswahl.

Ich fühle die Ungeduld der Verkäuferin, deren irritierter Blick wie eine Pistole auf meinen gebeugten Nacken gerichtet ist. Um sie zu beschwichtigen, stelle ich eine wohlwollende Frage: „Hausgemacht?“ Sie feuert sofort zurück: „Unser Jebäck kommt aus ‘ner Großbäckerei in Köpenick und wird per Lkw jeliefert.“ Mein indignierter Blick heftet sich am roten, klebrigen Rand der „Ochsenaugen“ fest, und ich frage mich, wer wohl auf die Idee gekommen ist, einer vorgeblichen Delikatesse einen solch abstoßenden Namen zu verpassen. Ich gebe mir Mühe, Gerechtigkeit walten zu lassen: Der Konditor hat vermutlich das Herz eines Künstlers und will seinen Geistesverwandten Ehre erweisen. Nur deshalb hat er diese mit Orangenmarmelade bestrichenen Quadrate „Picassoschnitten“ getauft. Die Bäckerin trommelt mit nervösen Fingern auf dem Thresen, ich spüre, dass ich mich schneller entscheiden muss. Mein Blick fällt auf den letzten Kuchen in der Vitrine, die letzte Chance, die Apotheose in diesem Gruselkabinett: „Eclair mit schokoladenhaltiger Fettglasur“! Was da liegt, sieht aus wie ein Stück Gummi, gestopft mit einer gräulichen, unidentifizierbaren Masse irgendwo zwischen anthroposophischer Zahnpasta und der Schmiere, mit der man Wanderschuhe imprägniert. Endlich folge ich dem Überlebensreflex und verlasse fluchtartig den Laden. Zu gruselig zum Probieren.

Dann sitze ich mit leerem Bauch auf dem Balkon und blättere in einem französischen Journal. Dort stolpere ich über einen kleinen Artikel, in dem der neueste, angesagteste Konditor von Straßburg gepriesen wird: „Ein Prinz der Patisserie! So frisch! So leicht! Ein Künstler des Krokants!“ Der Gastro-Kritiker verliert sich in einem Loblied luftiger Vanilleschnittchen und Brombeer-Veilchen-Makronen mit Likör („verstörend gut!“). Seine Beschwörungen von Café-Prinzen und Zitronentörtchen zergehen mir auf der Zunge, ich schmelze dahin, träume von Eierlikör und halluziniere von Kakao, schwelge in der subtilen Grazie von Krokant-Mandeln, filigran gedrechselt wie Brüsseler Spitze. Ich weine – vor Nostalgie, vor Neid, vor Wut! Ein einziger tröstender Gedanke fährt mir durch den Kopf: Nächste Woche bin ich in Straßburg. Und wenn ich dann gut gelaunt zurück nach Berlin komme, werde ich einen Putsch anzetteln, um „Eclairs mit schokoladenhaltiger Fettglasur“ zu verbieten, die einem den Nachmittag in Schöneberg vergiften können.

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