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Meinung: So schön gruselig

Bayerns Innenminister macht gegen Ausländer Wahlkampf – die CDU sagt nein. Danke

Das Lied hat schön geklungen, drum wird’s nochmal gesungen“, heißt es in einem Gassenhauer. Ein Gassenhauer, den Bayerns Innenminister Günther Beckstein offensichtlich kennt. Im Bundestagswahlkampf des Jahres 2002 hatte Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber das Gespenst einer von Rot-Grün geförderten, massenhaften Einwanderung an die Wand gemalt. 500000 weitere Kostgänger der deutschen Sozialsysteme würden ins Land gelockt, war seine düstere Prophezeiung. Einen Wahlkampf später legt Beckstein nun die gleiche Platte auf. Nur die Zahl hat er zurückgenommen.

Die Melodie freilich klingt nur in manchen Ohren schön. Ihre Komponisten sind üble Gesellen, die Gefahr, die sie beschwören, gibt es nicht. Von einer ungehinderten Einwanderung nach Deutschland kann, zumal seit der einvernehmlichen Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes, keine Rede sein. Auch das Thema Asyl ist, objektiv betrachtet, längst nachrangig. Dass in weiten Kreisen der Bevölkerung der gegenteilige Eindruck besteht, hat freilich nicht mit getrübter Wahrnehmung, sondern mit politischen und sozialen Lasten aus der Vergangenheit zu tun, und, ja, mit Missbrauch auch.

Zwischen den Ländern der Europäischen Union gibt es – für die zehn „neuen“ allerdings stark eingeschränkt – bei der Arbeitsplatzsuche Freizügigkeit. Dies gilt schon seit so langer Zeit, dass aus Spanien, Italien, Griechenland und Portugal stammende Familien in Deutschland längst völlig integrierter Teil eines gemeinsamen Kulturkreises sind. Das trifft, eingeschränkt, auch auf viele türkische Zuwanderer zu, deren Integration freilich wegen der anderen Religion und der Sprachbarriere besonders schwierig war. Das uns fremde Gesellschaftsverständnis und der Entwicklungsrückstand ihrer Herkunftsregionen erwiesen sich als zusätzliche Probleme.

Man kann vermuten, dass sich Günther Becksteins Verdikt gegen „Einwanderer“ stark gegen den Familiennachzug innerhalb der türkischen Gemeinschaft richtet. Der ist oft gleichbedeutend mit Zuwanderung in die Arbeitslosigkeit, also in die Sozialsysteme. In einem Land mit fünf Millionen Arbeitslosen haben Neuankömmlinge, die weder die Sprache können noch eine berufliche Qualifikation aufweisen, keine Chance. Dies auszusprechen hat mit Fremdenfeindlichkeit nichts zu tun.

Wer aber mit Angst an die Macht will – und so klingt Becksteins Fanfare – trägt zur Lösung der hausgemachten Probleme nichts bei. Hausgemacht, und nicht frisch importiert, sind sie aber, weil in der türkisch-stämmigen Bevölkerung Deutschlands die Bereitschaft zur Integration fast so gering ausgeprägt ist wie die der deutschen Seite, durch mehr oder weniger sanften Druck auf die Eltern dafür zu sorgen, dass deren Töchter und Söhne deutsche Kindergärten und Vorschulen besuchen. Wer seine Kinder mit Gewalt dumm hält, das sollte Günther Beckstein eigentlich sagen, versündigt sich an ihnen – und keine Religion wird ihn von dieser Schuld freisprechen.

Die Union selbst ist glücklicherweise klüger als Bayerns Innenminister. Sie weiß, dass die Probleme des Landes viel zu groß sind, als dass man sie mit Populismus lösen könnte. Vielleicht kommt die Weisheit ja noch bis Bayern.

Gerd Appenzeller

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