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Meinung: So sind sie nun mal

Osama tot, keine Freude – Gaddafi tot, große Freude: Was erklärt den Unterschied?

Vor einem knappen halben Jahr ging’s relativ zivilisiert zu. US-Spezialeinheiten hatten Osama bin Laden aufgestöbert, das Haus gestürmt, den Terroristen erschossen und den Leichnam auf Hoher See bestattet. Fotos wurden nicht veröffentlicht. In Amerika zogen Menschen auf die Straße und feierten, weil die Quelle einer mörderischen Gefahr beseitigt worden war. Auch Angela Merkel freute sich über den Tod des Todesbringers.

Was folgte, war ein Tsunami der Entrüstung. „Was ist das für ein Land, das eine Hinrichtung derart bejubelt?“, fragte fassungslos der Tagesthemen-Moderator. Völkerrechtler, Vertreter der Kirchen, Ethikprofessoren waren sich einig: Die Maßstäbe der Humanität wurden grob missachtet, Osama bin Laden hätte vor ein ordentliches Gericht gestellt werden müssen, sich über dessen Tod zu freuen, sei barbarisch. Dass keine Bilder von der Leiche veröffentlicht wurden, empörte zusätzlich. Verschwörungstheorien schossen ins Kraut.

Nun ist Muammar al Gaddafi tot, und die Menschen in Bengasi, Misrata und Tripolis tanzen, jubeln, klatschen und schießen in die Luft vor Freude. Sie strömen in ein Kühlhaus in einem Supermarkt, wo der tote, halb nackte Tyrann auf eine Matratze gelegt wurde. Die Umstände seines Todes werden noch überprüft, aber die Konturen des Bildes sind gruselig. Offenbar war Gaddafi von Nato-Bomben verwundet, dann gefangen genommen, auf die Motorhaube eines Pick-up-Trucks gesetzt, geschlagen und zur Schau gestellt worden. Am Ende wurde der wehrlose Mann wohl gezielt getötet.

Und was meinen die Tugendwächter? Nichts. So sei das nun mal, wenn sich ein Volk aus dem Joch einer Tyrannei befreit, siehe die Rumänen und Nicolae Ceausescu oder die Iraker und Saddam Hussein. Wütende Menschen sind halt nicht zimperlich. Man liest, und staunt. Warum wird mit zweierlei Maß gemessen? Was erklärt das strenge Urteil im Fall Bin Laden und das milde im Fall Gaddafi?

Zunächst ließe sich einwenden, dass Tyrannenmord etwas anderes sei als Terroristen-Liquidierung. Ein Volk, das gelitten hat, dürfe das Recht in die eigene Hand nehmen, nicht aber ein souveräner Staat im Kampf gegen den Terrorismus. Doch auch unter Bin Ladens Terrorherrschaft haben Menschen gelitten. Rund 3000 Amerikaner starben am 11. September 2001. Ließe sich aus Leid eine Rechtfertigung für Rache ableiten, wäre nicht klar, warum das Urteil über die Amerikaner so viel negativer ausfiel als das über die Libyer.

Ein zweiter Einwand könnte lauten, Amerika sei Teil des Westens und müsse sich an moralisch höheren Kategorien messen lassen als Libyens Rebellen. Doch so sauber können die Dinge nicht getrennt werden. Es ist offenkundig, dass die Nato eine wichtige Rolle beim Sturz Gaddafis und dessen Festnahme gespielt hat. Die Nato war Kriegspartei und beförderte mit Tausenden von Luftschlägen das Ende des Regimes. Damit hat sie eine moralische Mitverantwortung für das, was im Land geschieht.

Viele von denen, die jetzt zu Gaddafi schweigen, haben sich vor knapp 30 Jahren entrüstet gezeigt, als libanesische Phalange-Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila ein Massaker verübten. Entrüstet war man damals weniger über die Taten der Mörder – der Hauptverantwortliche, Elie Hobeika, wurde nie zur Verantwortung gezogen – als über das Nichtstun israelischer Soldaten. Damals die Mitverantwortung Israels im Libanon anzuprangern, aber heute über die Mitverantwortung der Nato in Libyen hinwegzusehen, ist bigott.

Warum also wird – abgesehen von den stets heftigeren Moral-Reflexen, sobald Israel oder die USA involviert sind – mit zweierlei Maß gemessen? Die Antwort fällt nicht schwer – es ist unser Rassismus gegenüber Arabern und Muslimen. Die neigen nun mal zur Überreaktion, sind leichter erregbar als andere (Karikaturenstreit), hängen den einen, lynchen den anderen. Das alles wird bei uns oft gewissermaßen als gesellschaftstypische Folklore wahrgenommen.

In Freitagspredigten mokieren sich Muslime gelegentlich über das „Märchen von den Gaskammern“, Apostasie – die Ausübung eines Freiheitsrechtes! – wird vielerorts mit dem Tode bestraft, Christen werden drangsaliert und verfolgt, Homosexualität und Ehebruch werden schwer geahndet. Amnesty International und Human Rights Watch kritisieren längst auch die von libyschen Rebellen verübte Folter. Doch hier heißt es achselzuckend nur: So sind sie nun mal.

Und weil sie nun mal so sind, wird ihnen der Umgang mit Gaddafi verziehen, während Merkel wegen ihrer Freude über den Tod Bin Ladens zur Minna gemacht wird. So einfach ist das – und so beschämend.

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